piwik no script img

Kommentar Internet und KnastSmartphones für alle Inhaftierten!

Kommentar von Kai Schlieter und Kai Schlieter

Wer die Risiken des Internets durchdekliniert, entzaubert die tatsächliche Brisanz. Alle Inhaftierten sollten freien Zugang zum Internet bekommen.

A lle Inhaftierten in Deutschland sollten freien Zugang zum Internet bekommen. Politiker, die das fordern, dürfen nicht auf politisches Kapital hoffen. WLAN für alle Inhaftierten! Das dürfte die Mehrheit in diesem Land als Wahnsinn empfinden. Als Bestätigung der These vom Luxusvollzug.

Tatsächlich sollte es heißen: Internet, na logisch! Selbstverständlich sollten Männer und Frauen auch im Gefängnis freien Zugang zu Informationen haben. Warum auch nicht? Würde Bullerbü sonst im Chaos versinken? Könnten wir Kinder, Gebrechliche und Alte nicht mehr ohne Geleitschutz auf die Straße lassen? Sind digitale Verabredungen zu Straftaten zu befürchten? Steigt die Internetkriminalität?

Bei den meisten Inhaftierten besteht das Problem nicht darin, dass sie bei der nächsten Gelegenheit den Quellcode der Deutschen Bank hacken. Zum Bildungsadel im Knast zählt schon einer mit abgeschlossener Lehre. Aber es geht auch gar nicht um das Internet.

Bild: Martina Thalhofer
KAI SCHLIETER

ist Leiter des Reportage- und Rechercheressorts der taz.

Hat das Münztelefon im Knast die Gesellschaft an den Abgrund geführt? Der Fernseher? Stellen Pornoheftchen eine Gefahr für die Allgemeinheit dar? Muss Mohnkuchen wie in manchen Anstalten ernsthaft als mögliches Rauschmittel verboten werden? Mitunter gilt selbst der juristische Kommentar zum Strafvollzugsgesetz als nicht zumutbare Gefahr: Der Schmöker ist so dick, dass ein Waffe darin verborgen sein könnte.

Wer die Risiken des Internets durchdekliniert, entzaubert die tatsächliche Brisanz. Die Frage aber, ob ein Internetzugang tragbar wäre, vermischt sich mit dem Impuls: Den Insassen im Knast besser nur nicht zu viel geben! Bei Debatten zum Strafvollzug bildet Unwissen meistens die Grundlage. Kaum einer kennt die Rechtslage.

So heißt es im Strafvollzugsgesetz: „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.“ Geradezu irrsinnig mag folgender Paragraf erscheinen: „Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken.“ Die Richter des Bundesverfassungsgerichts glauben gar: „Der Vollzug von Freiheitsstrafen ist […] von Verfassungs wegen dem Ziel der Resozialisierung verpflichtet.“

Wer sich draußen umschaut, sieht Menschen, die mit anderen kommunizieren, per Handy und per Internet. Alle, die mehr Härte gegen Täter fordern, müssten gesetzestreu rufen: Smartphones für alle Inhaftierten!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Reportage & Recherche
Seit 2008 bei der taz. Von 2012 bis März 2017 leitete er das von ihm gegründete Ressort Reportage & Recherche. Danach Wechsel zur Berliner Zeitung / Berliner Kurier. 2015 erschien sein Buch "Die Herrschaftsformel. Wie Künstliche Intelligenz uns berechnet, steuert und unser Leben verändert". 2011 erschien sein Buch "Knastreport. Das Leben der Weggesperrten".
Reportage & Recherche
Seit 2008 bei der taz. Von 2012 bis März 2017 leitete er das von ihm gegründete Ressort Reportage & Recherche. Danach Wechsel zur Berliner Zeitung / Berliner Kurier. 2015 erschien sein Buch "Die Herrschaftsformel. Wie Künstliche Intelligenz uns berechnet, steuert und unser Leben verändert". 2011 erschien sein Buch "Knastreport. Das Leben der Weggesperrten".
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • P
    Personalmangel

    Solange so ein Personalmangel im Strafvollzug herrscht, ist das berechtigte Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung- die Argumente der Milieuanbindung bei sind nicht von der Hand zu weisen und schon ohne Internet ein grosse Problem- und das Recht auf Information der Gefangenen nicht unter einen Hut zu bringen.

    Deshalb ist Ihre Forderung, Herr Schlieter, nur billiger Populismus.

  • UZ
    und zu

    @andreas:

     

    Klar, weil dort, wo nicht einmal das Briefgeheimnis gilt, niemand auf die Idee kommen würde, die Onlineaktivitäten zu überwachen, nicht wahr?

     

    Wer "draußen" für die Presse Demonstranten fotografiert, bekommt Besuch von der Polizei, aber Kinderpornos im Knast, das geht schon in Ordnung...?

    Ein seltsames Verständnis von "Knast" haben sie da.

     

    Einfach über den Proxy eine Blacklist, oder in CDU-Ländern eine Whitelist (FAZ.net, CDU.de und kreuz.net) definieren, Monitoring-Software ("Trojaner") auf die PCs und Straftaten wären weitestgehend verhindert.

     

    Und es ist ja auch nicht so, als hätten Gefängnisinsassen nicht sonst auch beste Möglichkeiten, sich zu radikalisieren. Wer zum "Warnschuss-Arrest" rein geht, kommt nicht selten als Krimineller mit besten Kontakten wieder raus. Wenn in Knästen Menschen zusammengeschlagen werden, haben Politiker nicht einmal ein Schulterzucken dafür übrig, das sei ja nun einmal normal, weils alles Kriminelle seien.

  • P
    petronius

    "Sind digitale Verabredungen zu Straftaten zu befürchten?"

     

    was für eine naive frage!

     

    selbstverständlich sind sie das, denn "internet" bedeutet ja wohl auch "e-mail" und dergleichen

     

    hr. schlieter, noch nie von südamerikanischen gangsterbossen gehört, die von ihrer (luxus) zelle aus ihren "geschäften" locker per handy nachgehen?

  • A
    Anwalt

    Zunächst sehe ich das Problem im Zeitvertreib, den das Internet bietet. Machen wir uns nichts vor: Die "Haupt-Strafe", die wir gegenwärtig den Gefangenen bieten können, ist ja gerade der fehlende Zeitvertreib, also das tatsächliche "absitzen müssen" der Strafe. Und da aus meiner Erfahrung die meisten Insassen nicht gerade Atomphysiker oder sonstige Dichter & Denker sind, genügt hier bereits jeder noch so geringe geistige Anreiz, um den Strafzweck praktisch völlig entfallen zu lassen. Denn dann wird ein Leben im Knast mit kostenlosem Fernsehen, Spielkonsole und Internet schöner als die "Realität" außerhalb der Mauern.

    Zweites Problem ist natürlich die Vernetzung von Insassen mit dem Milieu außerhalb der Mauern. Die ist ja bereits jetzt - ohne Internet - ein riesiges Problem. Wer glaubt, daß die Insassen per Internet dann nur noch wünschenswerte Sozialkontakte aufbauen, der glaubt auch an den Weihnachtsmann oder kann nicht abschätzen, was ein gelangweiltes Hirn hervorbringt, das 23 Stunden am Tag auf "standby" steht...

  • A
    andreas

    @von und zu:

    Wer schon im Knast ein soziales Netz jenseits des Knasts aufbauen kann, wer die Welt kennt, statt nur seine vier Wände und ein bisschen Hofgang, hat deutlich bessere Chancen, am Ende auch draußen zu bleiben. Dabei geht es nicht um Luxusvollzug, sondern um Prävention von Straftaten.

     

    Dann können auch all die Möchtegern Salfisten, Nazis, Pederasten und Clanchefs ihre Kontakte pflegen und ihre Opfer weiter verhöhnen !

    Wollen wir das wirklich ?

    Aber in diesem Land ist eben der Täter ALLES das Opfer NICHTS.

  • H
    hackman3

    Smartphones im Knast bedeuten einen enormen Schub für organisierte Verbrechen. Aber wen juckt das schon, betroffen sind überwiegend eh nur Leute mit Lehre oder weniger. Das sieht der Gutmenschjournalist vom Prenzlberg oder aus Kreuzberg ganz entspannt.

  • V
    viccy

    Ein paar Gemeinschaftsrechner mit diversen eingeschränkten Seiten (keine Kinderpornos, keine Gewaltvideos) würden es wohl auch schon tun. Aber auch nicht für jeden Inhaftierten.

  • C
    Chaosritter

    Und wo wir schon dabei sind, warum nicht auch gleich noch freien Ein- und Ausgang für alle Gefangenen? Schließlich lässt sich niemand gerne einsperren, das wäre ja fast schon sowas wie eine Bestrafung.

     

    Geht es Ihnen eigentlich noch gut? Das Gefängnis ist eine STRAFE (zumindest theoretisch...), und keine Herberge! Die sollen über ihre Taten nachdenken und sich nicht die Zeit im Netz vertreiben! Zumal die auch locker ihre krummen Touren per Mail weiterführen können, oder denken sie ernsthaft, die würden den ganzen Tag nur die taz lesen?

  • AB
    Arne Babenhauserheide

    Das einzige, was meiner Meinung nach dagegen sprechen könnte, jedem ein Smartphone zu geben, ist dass damit ein ständiger Kontakt zum früheren Milieu des Inhaftierten gegeben ist, so dass eine Neuorientierung erschwert werden *könnte*.

     

    Ob das wirklich der Fall ist, kann ich aber nicht beurteilen - dafür weiß ich zu wenig.

     

    @Kai Schlieter: Haben Sie Informationen dazu?

  • AG
    Anton Gorodezky

    Mein Horrorszenario ist eher der eingeknastete Pate, der dann aus dem Gefängnis heraus per eMail sein Imperium weiterführt.

     

    Aber machen wir uns nix vor, solche Leute werden in Deutschland nicht eingesperrt.

  • UZ
    und zu

    Es müssen ja keine Smartphones sein, Notebooks sind heute meist schon billiger zu haben, möglicherweise auch gebraucht aus den Amtsstuben...nur wie sagt der nette aufdringliche Werbeonkel immer? "Aber die Idee ist gut."

     

    Was helfen uns denn amerikanische Verhältnisse, dass Leute weggesperrt werden, und nach Verbüßen ihrer Freiheitsstrafe der Welt völlig entfremdet und ohne jeden Halt auf freien Fuß gesetzt werden, wo sie sich nur wünschen, möglichst schnell wieder in den Knast zu dürfen und dazu entsprechende Straftaten begehen?

     

    Wer schon im Knast ein soziales Netz jenseits des Knasts aufbauen kann, wer die Welt kennt, statt nur seine vier Wände und ein bisschen Hofgang, hat deutlich bessere Chancen, am Ende auch draußen zu bleiben. Dabei geht es nicht um Luxusvollzug, sondern um Prävention von Straftaten.

  • H
    Holländer

    Wie wäre es mit zusätzlichen Ausbruchsgefahr?