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Kommentar HochwasserkatastropheTrocken bleibt es nur auf dem Berg

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Die Forderung nach Retentionsräumen greift zu kurz. Klimawandel ist nicht umkehrbar. Vor dem Hochwasser ist man im Zweifel kaum gefeit.

M an kann, wie jetzt der WWF, mitten in der Hochwasserkatastrophe das alte Lied anstimmen und statt der Einzwängung in Deiche mehr Ausbreitungsflächen für Flüsse fordern. Das bleibt im Prinzip richtig, und Dresden muss auch dank seiner einzigartigen Elbwiesen kein solches Desaster wie Passau befürchten. Kann sein, dass mit größeren Retentionsräumen im Flachland Hochwasserspitzen den einen oder anderen Meter niedriger ausfallen. Gebirgsflüsse wie jene des Erzgebirges, die derzeit Sachsen verheeren, bleiben jedoch ohnehin in ihre Täler eingezwängt.

Letztlich laufen solche Forderungen aber auf eine Rückkehr zu landschaftsbildenden Urzuständen hinaus, wie sie vor der menschlichen Besiedlung bestanden. Passau stünde am sichersten irgendwo oben im Bayerischen Wald und Dresden auf einem der Tafelberge in der Sächsischen Schweiz. Wer das nicht will, muss mit den Tücken der Natur leben. Und die erweist sich einmal mehr als stärker denn menschliches Kalkül. Irgendwie auch tröstlich.

Selbstverständlich muss auffallen, dass sich mit dem unbezweifelbaren Klimawandel für jeden Bürger erfahrbar die Wetterextreme häufen. Sachsen beispielsweise erlebt nach 2002, 2006 und 2010 schon das vierte dramatische Hochwasser binnen elf Jahren. Aber sogar Sachsens Grüne halten es für pietätlos, in der akuten Notlage über solche Grundsatzfragen zu diskutieren. Jetzt ist die Stunde des Zupackens, der tätigen Hilfe, der Solidarität. Neben Lerneffekten im Umgang mit der Natur und beim Hochwasserschutz sind wiederentdeckte Mitmenschlichkeiten das einzig Positive, das man einer solchen Katastrophe noch abgewinnen kann. In Dresden ist aus dem Miteinander das Laubegaster Inselfest entstanden, das seit 2002 jährlich am Elbufer gefeiert wird.

Bild: privat
Michael Bartsch

ist Korrespondent der taz in Dresden.

Und die Großkopferten? Es wäre nicht fair, jedem Politikerbesuch in Überflutungsgebieten unter den Generalverdacht des Wahlkampfs zu stellen. Täten sie es nicht, würden wir uns erst recht abfällig über sie äußern. Klar, Brandenburgs heutiger Ministerpräsident Matthias Platzeck gewann als „Deichgraf“ bei der Oderflut 1997 enorm an Renommee. Es empfiehlt sich also, genau hinzuhören, was Politiker im Angesicht des Elends sagen und versprechen. Ausnahmsweise heute auch mal bei Angela Merkel. Und wer unbedingt schimpfen muss, sollte es zuerst über die Versicherungen tun. Die ließen nämlich nach den Schäden von 2002 zahlreiche Hauseigentümer in Risikogebieten im Stich.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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7 Kommentare

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  • T
    tom

    Wenn man sich die Zeit nimmt und mit Abstand zu dem aktuellen Hochwasser über nachfolgenden Abschnitt nachdenkt, wird man merken, dass es nur höhere Deiche kein Lösung sind, sondern genau das, was da steht. War sicher als Ironie gedacht, aber es sit keine:

     

    "...Letztlich laufen solche Forderungen aber auf eine Rückkehr zu landschaftsbildenden Urzuständen hinaus, wie sie vor der menschlichen Besiedlung bestanden. Passau stünde am sichersten irgendwo oben im Bayerischen Wald und Dresden auf einem der Tafelberge in der Sächsischen Schweiz..."

  • M
    MioMüsli

    Es enttäuscht mich, wenn auch in der TAZ einfach über ein Thema drauflosgeschrieben wird ohne jede Fundierung, quasi per Eingebung.

    Natürlich schützen Flächen, in die sich das Wasser ausbreiten kann, unverbaute Auenabschnitte also, effektiv vor Hochwasser. Und nur die. Deiche und andere Verbauungen reichen die Hochwasserspitzen immer richtung Unterlauf weiter, wo sich das Wasser aufgrund des geringeren Gefälles umso stärker staut. Und natürlich schützen Überschwemmungsflächen auch die steilen Mittelgebirgstäler! Denn Wasser fließt bekanntlich nach unten ab. Und wenn unten genug Ausbreitungsfläche vorhanden ist, staut es sich weniger in Richtung Oberlauf. Dass das funktioniert, ließe sich an diversen Beispielen zeigen. Bei Hochwasser überfluten ja auch nicht alle Städte an Ufern größerer Flüsse! In den Hochwasserschutzplänen der Behörden kann man recht genaue Kalkulationen einsehen, wie viel Retentionsfläche es bräuchte um ein HQ100, ein Hochwasserpegel, der statistisch alle 100 Jahre vorkommt, unschädlich zu machen.

    Beim Thema Hochwasser geht es, wie bei vielen anderen gesellschaftlichen Themen zurzeit auch, um die Frage: soll auf technischem Wege immer mehr in Schutzmaßnahmen investiert werden, die anschließend nur kurze Zeit wirksam sind? Auch hier lohnt es ALLE Kosten zu betrachten, die durch den technischen Hochwasserschutz entstehen. Die sind nämlich enorm. Die Alternative lautet nach wie vor: Rückbau an den Flüssen und Anschluss der Auen. Positive Nebeneffekte: Das vielfältigste und zugleich am stärksten dezimierte Ökosystem Mitteleuropas, die Auenwälder und amphibischen Lebensräume, würden zurückkehren, die Grundwasserneubildung würde angekurbelt, die Fischbestände gestärkt (mehr Laichgebiete) usw. Der "landschaftsbildende Urzustand" im Taubergießen am Rhein, einer der letzten kleinen Flecken "echter" Auenlandschaft, ist bspw. ein wichtiger Tourismus- und Erholungsfaktor.

  • G
    Gonzi

    Wußte gar nicht, dass man weitreichende Überflutungsflächen geschaffen hätte. Eine Umsetzung solcher Vorschläge ist weiterhin nicht gegeben.

  • M
    Martin

    Es ist nicht so einfach, von ein paar aufeinanderfolgenden Hochwasserereignissen darauf zu schließen, dass das mit dem Klimawandel zusammen hängt. Wenn man die Hochwassermarken der letzten 400 Jahre ansieht, ist festzustellen, dass die

     

    1. fast immer deutlich höher waren als die heutigen "100-jährigen" Hochwasser und

    2. dass die Hochwasser sehr oft kurz hintereinander aufgetreten sind, und dann wieder einen größeren Abstand hatten.

     

    Um jedem Beifall von der falschen Seite zu unterbinden. Das Aufeinandertreffen mehrerer Hochwasser sagt aber auch nicht aus, dass der Klimawandel keinen Einfluss hat. Die Datenbasis ist dafür einfach zu klein!

     

    (Das gilt für die Messung der CO2-Gehalte nicht. Dort ist die Datenbasis ganz klar: Die CO2-Gehalte steigen seit mehreren Jahrzehnten.)

  • W
    Windmacher

    "Selbstverständlich muss auffallen, dass sich mit dem unbezweifelbaren Klimawandel " Mein Gott, da muß aber jemand richtig Angst haben vor einem politischen und wissenschaftlichen Klimawandel zu mehr Realität und nicht zur Klimabastelei per Computer.

  • UH
    Udo Henn

    Es ist nicht richtig, zu behaupten, dass sich Wetterextreme haeufen. Hochwasserereignisse in Deutschland kommen seit ueber 100 Jahren in unveraenderter Intensitaet und Haeufigkeit vor.

  • IQ
    Ignaz. Q

    Herr Bartsch übersieht, dass es auf den einen oder anderen Meter ankommt und die dazu nötigen Flächen keineswegs der Nutzung durch die Gesellschaft verloren gingen.