Kommentar Heroinabgabe: Zweifel am Abstinenzdogma
Trotz des Vorstoßes der CDU-Länder lehnt die Bundestagsfraktion der Union die Abgabe von Heroin "auf Krankenschein" ab - aus ideologischen Gründen.
W er hätte das gedacht: Vier CDU-regierte Bundesländer fordern im Bundesrat, synthetisch hergestelltes Heroin als verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel einzustufen. Damit ließen die 2002 ins Leben gerufenen Modellprojekte heroingestützter Behandlung von Schwerstabhängigen fortsetzen. Die Projekte richten sich an Abhängige, bei denen andere Behandlungen fehlgeschlagen sind.
Trotz des Vorstoßes der CDU-Länder lehnt die Bundestagsfraktion der Union die Abgabe von Heroin "auf Krankenschein" ab. Ihr altbekanntes Argument: Es würden "noch weitere Erkenntnisse" gebraucht. Auch warnt die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion vor unabschätzbaren Kosten für die Krankenkassen. Außerdem hätte die Diamorphin-Abgabe in der Schweiz gezeigt, dass sie keinen wirklichen Ausstiegscharakter habe. In der Tat sind die Abgabemodelle in der Schweiz und den deutschen Bundesländern in erster Linie auf die Lebensrettung von Schwerstabhängigen und die generelle Schadensminimierung durch Drogen gerichtet - und nicht auf Ausstieg. Den Süchtigen als Kranken zu sehen, dem es zu helfen gilt, und nicht als Kriminellen, von dem man einen Ausstieg erzwingen muss - diese ideologische Schwelle scheint die CDU-Fraktion daran zu hindern, sich auf eine pragmatische, schadensmindernde Drogenpolitik einzulassen, wie sie ihre Länderkollegen fordern.
Die von ihren Sprechern vorgebrachten Kosten-Argumente hat die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD) unterdessen zu Recht zurückgewiesen. Es geht ja nur um etwa 3.500 Heroinabhängige, die über dieses Programm versorgt werden. Gefahr droht also nicht von den Abhängigen, die durch die staatliche Abgabe von Heroin aus dem Schwarzmarkt und der Beschaffungskriminalität aussteigen können. Gefahr droht eher von den drogenpolitischen CDU-Hardlinern, die am Abstinenzdogma ebenso festhalten wie an dem außenpolitischen Debakel in Afghanistan, das für immer mehr und für immer billigeres Heroin auf den Schwarzmärkten sorgt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen