Heroinabgabe: "Kulturkampf" in der Union
Unionspolitiker im Bundestag wollen eine Grundlage für Heroinambulanzen verhindern. Doch zwei CDU-geführte Länder kämpfen via Bundesrat für die Therapie.
Am Freitag ist ein entscheidender Tag für die Mitarbeiter der sieben Drogenambulanzen, die Heroin an Süchtige verteilen. Am Mittwoch waren sie nach Berlin gefahren, hatten den Abgeordneten des Bundestags erklärt, welche Erfolge sie verzeichnen - und nun soll der Bundesrat über eine Initiative der Länder Hessen und Hamburg entscheiden, die die Heroinabgabe an Süchtige legalisieren und in die Regelversorgung miteinbeziehen soll.
In Bonn, Frankfurt, München, Hannover, Karlsruhe, Köln und Hamburg können sich seit 2002 schwer Abhängige in Ambulanzen Diamorphin, künstlich hergestelltes Heroin, spritzen - zusätzlich zum Ersatzmittel Methadon, zwei- oder dreimal am Tag, unter medizinischer Aufsicht. Rechtlich hatten die Ambulanzen nur den Status eines Modellprojekts, seit Juli arbeiten sie mit befristeten Sondergenehmigungen. Denn die Union im Bundestag sträubt sich, die Heroinabgabe auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Nun machen ausgerechnet die CDU-regierten Länder Hamburg und Hessen Druck über den Bundesrat.
Die ebenfalls unionsgeführten Regierungen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und im Saarland unterstützen den Vorstoß. SPD-Länder, SPD-Bundestagsfraktion sowie FDP, Linke und Grüne sind sowieso für eine entsprechende Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), sagte der taz, sie rechne damit, dass der Bundesrat dem Vorstoß Hamburgs und Hessens folgt.
Von der Länderkammer würde die Initiative dann zur Stellungnahme an die Bundesregierung und später in den Bundestag gehen. Die Union dort müsste ihre Haltung aufgeben oder sich gegen die Parteifreunde in den Ländern stellen.
Die Vorteile der Therapie liegen auf der Hand. Dies bestätigten Wissenschaftler, Ärzte und Polizeivertreter den Abgeordneten bei einer Expertenanhörung am Mittwoch. Den gut tausend Patienten ging es nach der Therapie gesundheitlich besser als Patienten, die nur mit Methadon versorgt wurden, das keinen Rauschzustand auslöst. Vor allem konnten sie ohne den Druck leben, Heroin auftreiben zu müssen: Sie kamen aus der Beschaffungskriminalität heraus, zogen in eine Wohnung und gingen einer geregelten Arbeit nach. "Mir wurde mein Leben zurückgegeben", schreibt der Süchtige Martin aus Köln in einer Studie des Hamburger Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung, das das Projekt begleitet hat. Drogenbeauftragte Bätzing sagte: "Die Heroinabgabe ist der Methadon-Behandlung klar überlegen."
Der Vorstoß von Hessen und Hamburg sieht nun vor, Süchtige zur Heroinbehandlung zuzulassen, die mindesten 23 Jahre alt sind, seit mindestens fünf Jahren regelmäßig spritzen und bei denen zwei herkömmliche Therapien scheiterten. Die Krankenkassen halten diese Kriterien für zu locker. Da so eine zu große Zahl an Süchtigen für das Programm in Frage käme, würde alles zu teuer: Die Heroinabgabe kostet viermal so viel wie die Methadonbehandlung. Die Ambulanzen bestreiten, dass es einen Ansturm auf die Therapie geben könnte, und verweisen auf freie Plätze in ihren Programmen.
Der CDU-Gesundheitsexperte im Bundestag, Jens Spahn, sagte zur taz: "Die Fraktion wird sich der Debatte nicht verschließen und ihre Argumente mit den Ländern austauschen. Das ist eine Debatte, die nicht in der CDU, sondern zwischen Bund und Ländern geführt werden muss." Die Position der Union bleibe: "Die Herointherapie ist nicht so viel besser, als dass dafür eine der härtesten Drogen legalisiert werden muss." SPD-Gesundheitsexperte Johannes Jung sagte: "Das ist pure Ideologie, was die Bundes-CDU betreibt. Da gibt es einen Kulturkampf zwischen Bund und Ländern."
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