piwik no script img

Kommentar Hartz IV für AsylbewerberVerweigerte Würde

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Jahrelang wurde von allen Seiten ignoriert, dass Asylbewerbern ein Leben unter dem Existenzminimum zugemutet wird. Das muss sich sehr schnell ändern.

W as der Sozialstaat zu leisten hat, ist klar bestimmt: Er muss ein Leben in Würde ermöglichen. Die Frage, wie viel Geld es dazu genau braucht, ist – zumindest offiziell – entschieden: Hartz IV, also 374 Euro im Monat, die sogenannte Hilfe zum Lebensunterhalt für einen Erwachsenen. Dort und nirgendwo anders liegt das Minimum an Versorgung, das die Gesellschaft dem Einzelnen schuldet – bis auf Weiteres.

Es ist deshalb nicht nachzuvollziehen, dass sich seit 19 Jahren ein Gesetz halten kann, das eine ganze Bevölkerungsgruppe von diesem Existenzminimum einfach ausschließt, während man ihr gleichzeitig verbietet zu arbeiten.

Nach den Pogromen von Lichtenhagen und Hoyerswerda waren CDU, CSU, FDP und SPD vor dem Druck eingeknickt, den die Rechtsextremen aufgebaut hatten. Sie setzten den Kampf der „Republikaner“, der Nazis und des Bürgermobs gegen Flüchtlinge auf ihre eigene Agenda und zimmerten den sogenannten Asylkompromiss – ein unsägliches Gesetzeswerk, das nur zwei Zwecke hatte: Flüchtlinge fernzuhalten und jenen, die trotzdem kommen, das Leben so unangenehm wie möglich zu machen.

Christian Jakob

ist Redakteur bei taz1.

Auch das Sozialrecht wurde herangezogen, um in der aufgeheizten Stimmung die wachsende Fremdenfeindlichkeit zu bedienen. Ausbaden müssen das bis heute weit über 100.000 Flüchtlinge. Und während die sozialpolitische Debatte darüber tobte, ob Hartz IV nun „Armut per Gesetz“ ist, hat es die Öffentlichkeit fast zwei Jahrzehnte lang nicht interessiert, dass der Staat Zehntausende nichtdeutsche Kinder von 4,30 Euro am Tag leben lässt.

Wie gleichgültig Politik und Medien der ganzen Sache gegenüberstehen, sieht man auch daran, dass bis heute noch die D-Mark-Beträge im Text des Asylbewerberleistungesetzes stehen. Niemand, auch keine Grünen, die zwischendurch jahrelang regiert haben, haben sich daran so gestört, dass sie wenigstens eine Inflationsanpassung durchgesetzt hätten.

In zwei Tagen wird das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich entscheiden, dass dieser Zustand beendet werden muss. Zu befürchten ist, dass die Bundesregierung darauf genauso reagieren wird wie auf das Urteil zu den Hartz-IV-Sätzen: mit Unwillen und dem Verschleppen der Umsetzung. Das ist den Flüchtlingen nicht zuzumuten. Sie müssen sozialrechtlich gleichgestellt werden – sofort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • C
    Claudia

    Eine häßlich POLEMIK, HErr Jacob, die sie da schreiben.

     

    Natürlich wirbt Deutschland nicht weltweit für Asylanten, schon gar nicht für welche ohne Asylgründe. Wer soll das bezahlen, und die gesellschaftlichen Verwerfungen befürworten?

     

    Was aber auch sie nicht verstanden haben, das Existenzminimum des dt. Sozialstaates wird nur für Deutsche Staatsbürger und Geduldete (Flüchtlinge) gewährt und nicht für jeden hier ankommenden aus aller Welt! Wer wie die drei in der Serie vorgestellten Bewerber noch kein Asyl gewährt bekommen hat, weil die Gründe nicht bewiesen sind, fällt nicht unter diese Regelung. Zu Recht, sonst müßten wir die ganze Welt auf Harz4- Niveau hieven.

  • W
    Wilhelmine

    @spiritofbee

    "Für Haustiere geben wir locker das dreifache aus monatlich."

     

    Mir ist meine Haustier auch viel lieber als ein Asylbeweber aus Afrika. Nicht nur kuschelt es sich mit meinem Mauzi besser, er ist auch im Unterhalt deutlich günstiger und wenig anspruchsvoller, als die hier vorgestellten Asylanten. Ihr Vergleich hinkt also gewaltig.

  • V
    viccy

    @ Paul

    Na ja, die deutschen Gesetze gelten auch für Nicht-Deutsche. Sonst könntest Du ja keinen Türken wegen Ladendiebstahl oder Körperverletzung vor Gericht stellen, weil für ihn die deutschen (Straf-) Gesetze nicht gelten würden.

     

    I.Ü. heißt es, die Würde des "Menschen" (nicht: die des "Deutschen") ist unantastbar.

     

    Ob das jetzt 374 Euro bar auf die Hand entspricht und nicht etwa 375 oder 373, das ist freilich eine andere Frage...

  • 0
    0177translator

    1991 stand im "Eulenspiegel" ernstgemeint folgender Ausspruch eines Mosambikaners abgedruckt, ich zitiere: "Deutschland ist so ein schönes Land. Schade nur, daß die Deutschen darin wohnen."

    Ich habe einen Vorschlag zur Güte. Jeder Hardcore-Ignorant mit deutschen Wurzeln, der heute Kiffer und Neo-Komsomolze ist, soll einen zukünftigen Integrationsverweigerer und/oder Salafisten bei sich zu Hause in Kost und Logis aufnehmen und ansonsten die Welt vor seinen Ratschlägen verschonen.

  • A
    Anja

    Schrecklich ungerecht! Wie wäre es mit einem Spendenkonto für die Familie? Das ändert natürlich nicht die Gesetzeslage, aber im Einzelfall könnte es doch Hilfe schaffen.

  • S
    spiritofbee

    Nur mal so als gedankliche Anregung:

    Für Haustiere geben wir locker das dreifache aus monatlich.

    Soviel zum Thema "Die Würde des Menschen ist.........

  • P
    Paul

    Also erstmal gelten Gesetze in der BRD nur für Deutsche Bürger. Und selbst Hartz-4 ist nicht dem Grundgesetz entsprechend. Um einem Bürger ein Menschenürdiges Leben in der BRD nach den Maßstäben der BRD zu ermöglichen müsste jeder mindestens 1500 Euro haben. Deshalb forden viele das bedingungslose Grundeinkommen. Allerdings nur für Menschen mit der deutschen Staatsbürgerschaft. Und das ist keine Rechte Einstellung und hat auch nichts mit Nazis zu tun. Alsylbwewerber müssen menschenwürdig untergebracht werden und versorgt werden. Ob Alylis überhaupt Bargeld bekommen sollten ist fraglich. Davon abgesehn ist Deutschland kein Einwanderungsland, sondern ein übervölkertes Land mit großen Finanz- und Sozialproblemen. Wir sollten nur noch die absoluten Härtefälle aufnehemn und sonst keine Ausländer mehr generell für den Daueraufenthalt hier herreinlassen.

  • J
    Jemand

    Richtig! Vor allem dient es dem Zweck der Welt zu beweisen, daß die Deutschen mal wieder die Deutschen sind. Im schlimmsten Fall dient es sogar als Vorwand Deutschland anzugreifen und sich den ungeliebten, schlecht bewaffneten Konkurrenten ein für alle Mal vom Hals zu schaffen!

  • H
    HamburgerX

    Ich finde generell, der Staat sollte die zahlreichen Zahlenbeiträge in seinen Steuer- und Leistungsgesetzen regelmäßig an die Inflation anpassen, zumindest alle 5 Jahre. Denn nicht inflationsangepasste Steuergrenzen etc. sind nichts anderes als heimliche Steuererhöhungen. Darunter leidet Deutschland seit Jahrzehnten. Während früher nur ein Bruchteil der Bevölkerung den Spitzensteuersatz zahlte, so ist es heute ein großer Teil. Es kann nicht sein, dass nur bei Untergrenzen hin und wieder korrigierend vom Verfassungsgericht eingegriffen wird. Es muss endlich Gerechtigkeit gegenüber allen Teilen der Bevölkerung herrschen, auch der Mittelklasse, die von den Steuern immer mehr erwürgt wird. Menschenwürde für Asylbewerber ja, aber auch für Steuerzahler, deren Lebensleistung immer vom Staat aufgefressen wird.

  • V
    viccy

    "374 Euro im Monat (...)"

     

    Plus Miete (circa 320, 330 Eurofür Alleinstehende) plus Versicherungen.

     

    Im Endeffekt rund 800 Euro, eher mehr.

     

    Für Familien mit Kindern locker 1200 Euro und mehr.

     

    Ich wollts nur mal gesagt haben.