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Kommentar Hartz-IV-EmpfängerZu arm zum Sparen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Bezugnehmer von Hartz IV sollen Geld für größere Anschaffungen horten. Eine solche „Spardisziplin“ zu verlangen, ist zynisch.

Geschenke kaufen kann ein Alptraum sein für Hartz-IV-Empfänger Foto: dpa

W er wissen will, was lebensfremde Bürokratie ist, der braucht sich nur die Berechnung der Regelsätze im Hartz-IV-Bezug anzuschauen. Da sind jeden Monat ein paar Euro vorgesehen für Anschaffung und Reparatur von größeren Haushaltsgeräten, Computern, Handys. Doch dieses „Ansparmodell“ scheitert am Leben. Das haben jetzt wieder Urteile der Sozialgerichte deutlich gezeigt.

Das Sozialgericht Cottbus gestand einem Haushalt im Hartz-IV-Bezug zu, dass eine Schülerin einen Computer brauchte, weil ihr Gymnasium Hausaufgaben über das Internet verteilte und ganze Lehrgänge online anbot. Einen Computer zum Preis von 350 Euro kann man nicht mal so eben aus dem Regelsatz ansparen. Das gilt auch für die 100 Euro Teilnahmegebühr, die ein Abiturient benötigte, um an der Abifeier der Schule teilzunehmen.

Die Urteile zeigen erstens, welche Geldsummen und Anschaffungen man heute braucht, um nicht vom Bildungssystem ausgeschlossen zu werden. Und zweitens wird daran deutlich, wie lebensfremd es ist, von Hartz-IV-Empfängern zu erwarten, Geld „anzusparen“, um diesen Ausgaben gewachsen zu sein. Ausgerechnet von Leuten in Armut auch noch eine Spardisziplin zu verlangen, die auch andere niemals aufbringen könnten, ist zynisch. Viele Hartz-IV-Empfänger sind hoch im Dispo und zahlen monatlich hohe Zinsen von ihrem Regelsatz, ohne den Kredit damit jemals tilgen zu können.

Es ist eine Schande, dass eine Schülerin ihre Bildungsmittel einklagen muss. Die Vorschläge der Wohlfahrtsverbände und der Grünen, einige der „einmaligen Leistungen“ wieder einzuführen, etwa die Ausstattung mit einem Internetzugang, mit Brillen, Kühlschränken und Waschmaschinen, gehen daher in die richtige Richtung. Es wird interessant sein zu beobachten, ob Themen wie dieses im Wahlkampf überhaupt eine Rolle spielen werden. Oder ob man sie klammheimlich an die Sozialgerichte delegiert.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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12 Kommentare

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  • Manche Kommentare sind nur schwerlich zu ertragen. Da haben die PLÖD und so einige Qualitätssender gute Arbeit geleistet. Fakt ist: Für Computer sind (bei einem Erwachsenen, bei Kindern %tual weniger) 2,52 Euro im Monat vorgesehen. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat ja schon geurteilt:

    1.)... kann nur verwiesen werden, wenn die Regelbedarfsleistung so hoch bemessen ist, dass entsprechende Spielräume für Rückzahlungen bestehen.

    2.)...Zum internen Ausgleich kann nicht pauschal darauf verwiesen wer-den, dass Bedürftige Leistungen zur Deckung soziokultureller Bedarfe als Ausgleichsmasse für andere Bedarfspositionen einsetzen könnten

    3.)...Auch die in der Pauschale für den Regelbedarf enthaltenen Leistungen für soziokulturelle Bedarfe sind keine frei verfügbare Ausgleichsmasse, da diese Bedarfe ebenfalls existenzsichernd zu decken sind und last not least:

    4.)...So wurde für die Anschaffung von Kühlschrank, Gefrierschrank und -truhe, Waschmaschine, Wäschetrockner, Geschirrspül- und Bügelmaschine (Abteilung 05; BTDrucks 17/3404, S. 56, 140) lediglich ein Wert von unter 3 € berücksichtigt.

    Man muss schon sehr abgebrüht sein, wenn man zu Hungernden meint: Kein Brot? Sollen sie halt Kuchen essen...

  • In einem immer reicher werdenden Land ist es doch eine Schande, dass auf der anderen Seite der angebliche Zwang zum Sparen bei den Sozialausgaben propagiert wurde. Für wen wurde gespart? Bei der Einführung von Hartz IV für die Reichen, deren Senkung des Spitzensteuersatzes damit gegenfinaziert wurde. Wohlgemerkt von der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder.

     

    Heute gehen die Neurechten hin und schieben es den wesentlich später angekommenen Flcühtlingen in die Schuhe, dass die Sozialausgaben für Deutsche nicht möglich seien. Das als angebliches Heilmittel verkaufte Abwehren von Flcühtlingen wird durch solche nicht wahrheitsgemäßen Behauptungen der etablierten Parteien aber erst ermöglicht. Den Gegenbeweis müssten sie jetzt antreten, dass es in einem im statistischen Schnitt immer reicher werdenden Land auch ein Teilen mit den Arbeitnehmern, Rentnern, Arbeitslosen, Frauen mit Kindern, ... gibt.

  • dies ist kein politisches statement. Ich rechtfertige damit nicht den derzeitigen Hartz-4-Satz.

     

    ich sage nur was zum Sparen: sparen geht (fast) immer.

     

    eine solche von Pragmatismus oder sag von mir aus Anpassung getragene Einsicht zeigt mir Spielräue auf, wenn auch kleine. Dagegen darauf hingewiesen zu werden wie zynisch die H4-Sätze sind ( in den genannten Situationen), macht mich, wenn ich betroffen bin, unzufrieden.

     

    Als Apell an die Parteien und deren Wähler ist der Kommentar schon in Ordnung

     

    Ich bahaupte , es ist nicht unmöglich etwas Geld anzusparen. Fast alle H-4-Geld Empfänger haben Kredite abzubezahlen? Alle? Sparen können ist nicht immer eine Sache, die davon abhängt, dass man viel Geld hat. Wer soviel hat, dass er/sie ohne Disziplin oder eine Entscheidung regelmäßig einen bestimmten Betrag Geld übrig hat, was sich dann anhäuft, der spart nicht.

     

    Zum Sparen, das stimmt schon, muss man einen Betrag haben, den man nicht unbedingt braucht.

    Einen solchen Betrag , das sage ich aus Erfahrung, hat auch jemand mit H4.

    Wichtig ist nun die Einsicht, besonders für jemanden, der wenig übrig hat, dass das regelmäßige Zurücklegen schon sehr bald zu Beträgen führt, mit denen man durchaus was anfangen kann.

    Wer wenig hat , denkt meistens, dass es eh nichts bringt. Die gute Seite bei Leuten mit wenig Geld oder anderen Dingen: Sie haben immer noch was übrig. Haben immer noch was zu geben.

    Letztendlich neigen sie dazu , immer alles auszugeben. Ihnen fehlt die Phantasie sich vorzustellen was regelmäßiges beiseite legen auch von kleinen beträgen bringt. Die Banken mit ihren Minigebühren, die wir leicht mal ignorieren, machens vor.

    • @Wolfgang Hanspach:

      Nicht jeder hat solch eine urschwäbische, einseitige Ausrichtung aufs Geldsparen.

       

      Wer tatsächlich lange vom HartzIV-Satz leben muss, ohne Nebeneinkünfte oder vorhandenes Bankguthaben, ohne Aussicht auf baldige Veränderung, der kann auf keinen Groschen verzichten. Es fehlt so schon an allen Ecken.

      Wieviel Spielraum ist denn nach Ihrem Verständnis noch drin, wenn es kaum zum Sattwerden reicht? Zwei Euro im Monat?

      Wieviele Jahre lang muss man etwas beiseite legen, um ein paar hundert Euro beisammen zu haben?

      Um dem Nachwuchs einen Schulcomputer zu kaufen, müsste man damit anfangen, sobald das Kind geboren wird.

       

      Aber es sind immer solche weltfremden Aussagen wie Ihre, die als moralische Rechtfertigung hergenommen werden, um den Armen die Schuld an ihrer Misere selbst zuzuschreiben.

    • @Wolfgang Hanspach:

      Okay, Sie haben Erfahrung? Haben Sie die auch mit Kindern in der Bedarfsgemeinschaft?

      Das Beispiel mit dem Laptop, der in der Schule gebraucht wird, ist sehr anschaulich. Sie sparen also 10 Jahre für diesen und nochmal 10 für die Waschmaschine und nochmal 10 Jahre für ein Jugendzimmer und nochmal 10 Jahre etc.

      Auf mich wirken Sie so, als ob sie entweder nur sehr kurz im H4-Bezug waren, dass größere Anschaffungen gar nicht relevant sind/ Sie keine Kinder in der BG hatten oder l.b.n.l nie H4-Empfänger waren.

      Kleine Denkhilfe: Kinder sind i-wann so groß, dass sie nicht mehr ohne Smartphone in der Clique auftauchen wollen. Kinder wollen in den Ferien mal rauskommen, Kinder kann man nicht nur ins Kinderzimmer wegsparen und Kinder haben Hobbys (außer Mensch-Ärgere- Dich- Nicht)

      Viel Erfolg beim Weitersparen!

  • Ich verstehe nicht, warum jemand nicht in der Lage ist einen Computer für 350 EUR zusammenzusparen. Der Regelsatz beträgt 350 EUR, also sind es 10 Monate in denen 35 EUR zurückgelegt werden müssen. Ist ohne Probleme möglich, da es etwa dem Preis von 5 Zigarettenschachteln pro Monat entspricht.

     

    Was ist denn mit jemandem, der mit ehrlicher Arbeit knapp über dem Harz IV Satz verdient, machen? Wo soll der seine "Einmalzahlung" für einen neuen Computer, Flachbilschirm oder eine wahnsinnig wichtige Party beantragen?

     

    Einem Harz IV Empfänger muss es immer schlechter gehen als einem der Arbeit hat. Sonst fehlt der Anreiz sich um einen Job zu bemühen. Das ist doch klar.

    • @G Pavlov:

      Bitte mal etwas weiterdenken: Lohnersatz- und Sozialleistungen sollten nicht zu niedrig liegen. Sonst fehlt der Anreiz für ArbeitgeberInnen, für „ehrliche Arbeit“ auch einen auskömmlichen Lohn zu zahlen.

       

      Mir bleibt es ein Rätsel, wieso gerade GeringverdienerInnen ein Problem mit höheren Hartz-V-Sätzen haben sollten. Sie sind diejenigen ArbeitnehmerInnen, die am meisten von einer besseren, ausreichenden Absicherung gegen Arbeitslosikeit profitieren würden.

    • @G Pavlov:

      Wie soll man von dem Regelsatz 35€ sparen? Für einen Normalverdiener ist das nicht viel, für einen Hartz4 Empfänger aber eine Menge Geld. Ihr Vergleich zu den Zigaretten ist völlig daneben oder glauben Sie etwa, jeder Hartz4 Empfänger raucht. Und mal abgesehen davon, sollte das soziokulturelle Minimum auch dafür reichen.

       

      Einem Arbeiter geht es immer - finanziell - besser als einem Hartz4 Empfänger, da er u.a. Wohngeld beantragen kann. In der Regel har dieser ca. 200 Euro mehr.

       

      Es gibt eine einfache Lösung für ihr im letzten Absatz angedeutetes Problem. Einfach den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen und nicht den Hartz4 Satz auf eine menschenunwürdiges Niveau halten.

  • Die Agenda 2010 Hartz IV Regelung gauckelt im öffentichen Diskurs personenbezogene Leistungen, gemäß grundgesetzlich garantierter Sozialhilfe vor und muss doch notwendig bei all den gestrichenen einmaligen Einzelfalleistungen scheitern. Darüberhinaus zementieren die Zugangsvoraussetzungen für Hartz IV Leistungsbezug die Altersdiskriminierung, indem Personen mit Beginn des Rentenalters, als ob es danach nicht auch um Altersvorsorge im allgemeinen und besonderen Krankheitsfall geht, nur noch ein pauschaliertes Restvermögen in Höhe von 2 600 €/Person statt Person/Lebensjahr/500 € mit Deckelung 32 500 € vor dem Schonvermögen zusteht. Das hat zur Folge, dass Rentner u. a. Genossenschaftsanteile für eigene genutzte Wohnungen, die über den Pauschalbetrag des restvermögens hinausgehen, erst verfrühstücken sollen und sei es mit der Folge des Wohungsverlustes, um dann Hartz IV Leistungsbezug berechtigt zu sein.

    Ob im Bundestagswahlkampf 2017 diese schreiende Ungerechtigkeit in Tateinheit mit vorsätzlich fortgesetztem Verfasssungsbruch zumindest thematisiert wird, wenn ja durch welche Parteien, durch welche nicht, darauf bin ich auch gespannt

    https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/wurde-hartz-iv-reform-fur-wirtschaftsnobelpreis-2010-auserkoren

  • Ähm, nein. Diese Einführung von Einmalleistungen gehen ganz bestimmt nicht in die "richtige Richtung". Diese Einmalleistungen sind nämlich entmündigend. Und das ist noch schlimmer als Armut. Und wenn sie einmal auf die Gnade von solchen fremdbestimmten Leistungen angewiesen waren, wissen Sie auch warum.

     

    Wie wäre es mit folgender - ich weiß schon - vollkommen verrückter Idee. Warum gibt man den Menschen nicht soviel, dass es zum Leben und zur Teilnahme am normalen gesellschaftlichen Leben reicht? Ich weiß schon, verrückte Idee. Aber träumen darf man ja noch.

    • @nanymouso:

      Im Rahmen des Hartz-IV-Systems gehen diese einmaligen Leistungen schon in die richtige Richtung, zeigen sie doch (erneut) auf, dass die gezahlte Pauschale für das sozio-ökonomische Existenzminimum zu knapp bemessen ist. Je mehr einmalige Leistungen von den Gerichten als angemessen und damit einklagbar bewertet werden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass diese früher oder später in die Pauschale "eingepreist" werden und diese damit steigt.

       

      Allerdings bleibt es ein Kampf gegen Windmühlen, wenn dann einerseits das ALG II angehoben, gleichzeitig aber durch den Abzug von z.B. "Genussmitteln" wieder kleiner gerechnet wird. Noch immer warte ich darauf, dass jemand vor Gericht das Recht auf Geburtstagssekt und die Flasche Wein als Mitbringsel bei Freunden einklagt. Wer allen Ernstes behauptet, Alkohol und andere Genussmittel gehörten in Deutschland nicht zum sozio-kulturellen (!) Existenzminimum, blendet mutwillig zentrale Gegebenheiten unserer Gesellschaft aus und willigt darin ein, dass ALG-II-EmpfängerInnen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden und sich auch selbst als solche sehen.