Kommentar Hartz-IV-Debatte: Die Motivationsbremse
Die Einführung von Hartz IV hat den Druck auf Arbeitslose erhöht. Bekämen sie wieder drei Jahre lebensstandardsichernde Leistungen, wäre der größte Reform-Erfolg in Frage gestellt.
In einer Hinsicht war Schröders Agenda 2010 durchaus ein Erfolg. Die Leistungskürzung hat den Druck auf Arbeitslose erhöht: Wer kann, bemüht sich seither stärker um einen neuen Job, als er es früher getan hätte, und viele sind nunmehr auch bereit, für weniger Geld zu arbeiten. Dies und der Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre haben dazu beigetragen, dass die Erwerbslosigkeit deutlich gesunken ist.
Man muss die Härten der Hartz-Reform deshalb nicht schönreden: Sie fördert den Niedriglohnsektor, und damit einhergehend die Verarmung trotz Arbeit. Die Herabstufung vom höheren Arbeitslosengeld I auf das kärgliche Hartz-IV-Niveau nach nur einem Jahr Arbeitslosigkeit wird von vielen Menschen als soziale Degradierung empfunden. Dieses Ungerechtigkeitsgefühl nährt die Debatte um eine Reform der Reform, die jetzt wieder aufflammt. Dabei geht es vor allem um zwei Fragen: Ab wann sinkt man auf Hartz IV? Und wie hoch sollte Hartz IV bemessen sein?
Höhere Grenzen für Schonvermögen und Zusatzverdienste, die nicht mit Hartz-IV-Leistungen verrechnet werden, sowie eine bessere Kinderbetreuung für Alleinerziehende sind nur Randthemen. Ob das Arbeitslosengeld I, das am früheren Lohn bemessen wird, 12, 15 oder 16 Monate lang ausgezahlt wird, ist ebenfalls nicht zentral. Längere und höhere Leistungen kosten den Staat zwar mehr Geld - einen bedeutsamen und psychologischen Unterschied bringen solche Veränderungen aber nicht.
Böte sich für Erwerbslose erneut die Aussicht, wie früher drei Jahre lang lebensstandardsichernde Leistungen zu erhalten, wäre der größte Erfolg der Reform in Frage gestellt - die motivierende Wirkung, sich schnell um einen neuen Job zu bemühen. Darüber müssen sich jene im Klaren sein, die nun, wie NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers oder Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel, eine wie auch immer geartete Revision der Hartz-IV-Gesetze anstreben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird