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Kommentar Hartz-IV-AktivistinDie falsche Konsequenz

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Die ehemalige Arbeitsvermittlerin Inge Hannemann hat Mut gezeigt. Sie ist zur Symbolfigur geworden, doch ihr Kampf scheint leider fast aussichtslos.

Nicht nur die „Kunden“ des Jobcenters haben es schwer, Inge Hannemann hat den Frust der Berater klargemacht. Bild: dpa

I nge Hannemann wird bis zur Hauptverhandlung nicht wieder im Jobcenter arbeiten dürfen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg ist bedauerlich, aber wenig überraschend.

Durch ihren öffentlichen Protest ist Inge Hannemann zu einer Symbolfigur geworden. Dafür, dass bei der Betreuung von Arbeitslosen häufig nur die Quote zählt, aber nicht, ob jemand auch ein sinnvolles Training oder eine anständig entlohnte Stelle angeboten bekommt.

Inge Hannemann hat unseren Blick nicht nur auf die „Kunden“ gelenkt, wie Arbeitslose mittlerweile im Orwellsprech der Jobcenter heißen, sondern auch auf diejenigen, die hinter den Schreibtischen sitzen. Sie haben zwar die Macht, über Leistungskürzungen zu entscheiden, sind aber häufig selbst frustriert. Die Anforderungen an sie wachsen, ihre Spielräume schrumpfen.

Hannemann dürfte gewusst haben, dass sie mit ihrer scharfen öffentlichen Kritik am eigenen Arbeitgeber das Risiko eingeht, ihre Stelle wegen geschäftsschädigenden Verhaltens zu verlieren. Sie ließ sich trotzdem nicht davon abhalten, nachdem sie vergeblich versucht hatte, Dinge intern zu verändern. Das ist mutig.

Allerdings scheint ihr Kampf fast aussichtslos. Im Jahr 2012 stellte der Bundesrechnungshof, ein ungleich wichtigerer Akteur, den Arbeitsagenturen ein vernichtendes Zeugnis aus. Vermittelt würden vor allem die wenig problematischen Fälle, die man schnell aus der Arbeitslosigkeit herausbekomme, Statistiken würden geschönt, so das Fazit. Ernsthafte Konsequenzen: keine.

Das Problem liegt dabei nur zum Teil bei der Bundesagentur für Arbeit. Sie hat nur einen begrenzten Spielraum, eigenverantwortlich zu agieren und muss sich oft nach Gesetzen richten, die die Politik beschließt. Dort sind die Weichen gestellt worden, die Menschen wie Inge Hannemann empören.

Denn mit den Hartz-Reformen haben Arbeitslose keine Chance mehr, sich gegen Stellen zu wehren, die weit unter einer anständigen Entlohnung liegen. Noch dazu schrumpft das Budget der Bundesagentur, Geld für sinnvolle Qualifizierungen ist immer weniger vorhanden. Das alles ist der eigentliche Skandal - und nicht das, was Inge Hannemann getan hat.

Update, 31. Juli, 13 Uhr: Der letzte Absatz wurde nach Leserhinweisen präzisiert.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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14 Kommentare

 / 
  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    @Ulrike

     

     

     

    Ja, im GLEICHEN, aber eben nicht im SELBEN - im gleichen können die Interessen und sonstigen Beweggründe ganz andere / gleiche sein und somit immernoch funktionale im Sinne der systemrationalen Bewußtseinsbetäubung!?

     

     

     

    Die richtige und einzig menschenwürdige Konsequenz, geht nicht zum und über das Gericht dieser unwahrheitlichen Ungerechtigkeit, denn dort wird die systemrational-konfusionierte Kommunikation in scheinbar unabänderlichen Dogmen des "Rechts des Stärkeren" stigmatisiert, marginalisiert, manifestiert, usw.!?

    • K
      Kurt
      @688 (Profil gelöscht):

      Stimmt schon, aber warum so geschwollen?

      • K
        Kurt
        @Kurt:

        Und darüber hinaus, müssen wir uniform sein um zumindest zeitlich begrenzt am selben Strang zu ziehen. Ulrike liegt meines Erachtens nach nicht falsch. Frau Hannemann hat da wohl etwas Zeit gebraucht bis das Zahnpastamännchen im Spiegel sie nicht mehr anlächeln wollte (reine Mutmaßung). Egal - muss ich darüber urteilen?

  • U
    Ulrike

    Ihren Kampf empfinde ich in keinster Weise als aussichtslos. Erstens ermutigt sie Andere, ihrem Beispiel zu folgen ... zweitens bringt sie etwas bisher Verborgenes ans Tageslicht: dass "Kunden" sowie Mitarbeiter der Jobcenter im gleichen Boot sitzen!

     

     

     

    Vergleichbares gilt für den Bereich "Schule" ... auch hier sitzen Lehrer und Schüler im Grunde im gleichen Boot.

     

     

     

    Was für eine Macht, wenn man sich dessen bewusst wird ... und DIESE könnte man konstruktiv nutzen.

     

     

     

    Ulrike

  • K
    Kurt

    Ich möchte das mit dem Thema Weiterbildung doch noch weiter aufgreifen. Weiterbildungen und Umschulungen sind mittlerweile doch recht schwierig durchzusetzen. Tip: Direkt zum Bildungsträger gehen, diese Mafia des beruflichen Bildungswesens ist durch Gewerkschaften, Industrie, Handwerk etc. fest im Jobcenter, AA, BfA oder wie der Verein sich gerade nennt verankert. Die setzen das schon durch (Eigene wirtschaftliche Interessen). Achtung! keine Phantsieberufe wählen und auch sonst nichts ohne Abschluß, das wäre der Garant für leicht erworbenes Geld für den Träger. In solchen Kursen ähnlich "Wie bewerbe ich mich eigentlich richtig - Die 52igste" findet wirklich nichts statt, egal wie schmackhaft das Ihnen gemacht wird.- Beim Amt ist das eine Sysiphosaufgabe eine Umschlung durchzusetzen. Da Sie nachher sowieso arbeitslos sein werden, besser sofort eine Ausbildung machen in der Sie später schwarzarbeiten können. Maurer finde ich persönlich nicht sonderlich erstrebenswert, da Großbaustellen vom Zoll regelmäßig kontrolliert werden. Und privat gibt es für genannten Beruf wenig zu tun. Außerdem sollte man den Begriff Schwarzarbeit nicht benutzen, da er mir doch recht wertend erscheint. Besser wäre Nachbarschaftshilfe.

  • ER
    Ein Realist

    Hier sind zwei Videos mit interessanten Daten und Links in den Beschreibungen:

     

     

     

    http://youtu.be/fxmeDxyFzQ8

     

    http://youtu.be/6HnBkjuagX8

     

     

     

    Bitte WEITERSAGEN und im Herbst unbedingt Schwarz-Gelb ABWÄHLEN, da sie sonst ihre bisherige ungerechte Sozialpolitik fortsetzen!!!

    • @Ein Realist:

      Nicht vergessen, wer die Repressionsmaschine H4 eingefüher hat. Also nicht nur Schwarz-gelb abwählen, auch Rot- Grün meiden !

  • EO
    Ernst O. Meier

    Sie hat aus einer inneren Haltung heraus die Sanktionen verweigert, das ist ihr gutes Recht. Menschlichkeit und Menschenwürde im Umgang gerade mit Notlagen-"Kunden" müssen in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz oberste Maxime behördlichen Handelns auch in Jobcentern sein.

     

    Arbeitsanweisungen (parallel dazu: Befehle im militärischen Bereich), die dagegen gerichtet sind, brauchen nicht befolgt zu werden. Ist beim Militär endlich auch so.

     

     

     

    Wahrscheinlich braucht es erst wieder soviel Aufhebens um eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, bis eine höchstrichterliche Entscheidung endgültig Klarheit bringt, die dann vom Jobcenter wieder nicht zur Kenntnis genommen wird.

     

    Jobcenterleiter sind geübt darin, eingrenzende und sie bindende höchstrichterliche Urteile solange zu ignorieren, bis ein Kunde das merkt und die Einhaltung einfordert. Ist mir in eklatanter Weise im Datenschutzbereich selbst passiert, wo die Behörde genau das tat, was sie sich in ihren eigenen Arbeitsanweisungen verboten hatte. Und ihren expliziten Verstoss gegen ein höchstrichterliches Urteil versuchte sie noch zu relativieren. Tja, so dumm und hinterhältig können "vertrauenswürdige" Beamte sein.

     

    Das Dienstrecht, das ein solches diskriminierendes Verhalten gegenüber "Kunden" überhaupt straffrei ermöglicht, gehört radikal geändert. Auch für Bescheisser im öffentlichen Dienst muss es endlich ein Arbeitslosigkeitsrisiko geben.

  • Eine genauere Bewertung, der Rechtswidrigkeiten (allerdings des/der Jobcenter) mit Hinweisen auf das Bundesverfassungsgericht gibt es hier: http://hartz-ist-ungerecht.forumprofi.de/sg-lsg-urteile-f77/arg-hannemann-ev-abgewiesen-t1385.html

  • K
    Kurt

    Es gibt, mal überspitzt gesagt, keine sinnvolle Weiterbildung, da es 6 Mio. systemrelevante Arbeitslose gibt und jeder Klempner der Gärtner wird, wie auch umgekehrt, nach der Umschulung auch noch arbeitslos sein wird. Oder wie Gerhard Schröder es sinngemäß sagte, daß man einen dauerhaften Niedriglohnsektor nur etablieren kann wenn man es "unten" möglichst unangenehm gestaltet.

  • G
    Gast

    Das Problem ist ja, dass die Beschäftigten in den Jobcentern nicht die Möglichkeit haben, über Ob und Höhe der Sanktionen wirklich zu entscheiden. Liegt ein gesetzlich definiertes Fehlverhalten vor und wird von ihnen festgestellt, dann ist die automatische Folge die Sanktion. Frau Hannemann ist verpflichtet, geltendes Recht korrekt anzuwenden. Wenn sie sich darauf beruft, die Sanktionsregeln für verfassungswidrig zu halten und deshalb nicht anwenden zu können, ist das in der Tat mehr als aussichtslos.

    • L
      LoreS
      @Gast:

      Das stimmt so nicht. Zur Erläuterung: Die allermeisten Sanktionen erfolgen bekanntlich bei Meldeversäumnissen. Wenn ein "Kunde" zu einem Termin nicht erscheint, wird er nur dann sanktioniert, wenn er keinen "wichtigen Grund" für sein Versäumnis vorbringen kann. Was als "wichtiger Grund" anerkannt wird, liegt im Ermessen des jeweiligen Sachbearbeiters. Und tatsächlich wird das auch ganz unterschiedlich gehandhabt, je nach Sympathie, Empathie, politischer Einstellung, Karriereambitionen des Mitarbeiters etc., kurz: es ist reine Glückssache, welchen Sachbearbeiter ein "Kunde" hat, und davon hängt es hauptsächlich ab, ob er für ein bestimmtes Verhalten letztendlich sanktioniert wird oder nicht.

       

       

       

      Dirk Hauer von der Diakonie Hamburg sagte der taz kürzlich: "Es gibt kaum ein öffentliches Verwaltungshandeln, bei dem die subjektive Einstellung der Sachbearbeiter so unmittelbare Auswirkungen auf die KundInnen hat." (in: "„Die absonderlichsten Fantasien“, taz vom 28.7.13) Diese absolute Willkür und Rechtsunsicherheit ist es auch, die Frau Hannemann mit am schärfsten kritisiert. Zu Recht.

  • C
    C3PO

    Ich habe hohen Respekt vor dieser Frau. Anders als die meisten Staatsdiener ist sie nicht zum willenlosen, technokratischen Werkzeug eines Systems geworden, welches mit Repressalien Druck auf das Heer der Arbeitslosen ausübt um in der letzten Konsequenz den Preis der Arbeit immer weiter ins Bodenlose zu drücken. Damit verstößt sie natürlich gegen die grundlegenden Interessen der "wirtschaftlich Berechtigten" an diesem System. Jedes System braucht seine Ausführenden, auch Büttel um Dinge durchzusetzen die sich letztlich gegen das Volk richten. Ich glaube auch Staatsdiener haben die Wahl sich nicht zum Büttel machen zu lassen, was allerdings in vielen Fällen dazu führen kann einige persönliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Abgesehen von der letztlichen Konsequenz dieser Arbeit nicht mehr nachzugehen.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "... geschäftsschädigenden ..." !!!

     

     

     

    - "Als Mensch anfing seine Toten zu bestatten, wurde Mensch zum Mensch." (unbek. Anthropologe)

     

     

     

    Als Mensch aber anfing auch daraus ein GESCHÄFT zu machen, war alles für'n Arsch, bzw. in der zeitgeistlichen Systemrationalität des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies" vollends MANIFESTIERT!? (hto)

     

     

     

    Die Antwort / die eindeutige Wahrheit, heraus aus dieser blöd-, stumpf- und wahnsinnigen MANIE von "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei", kennt im Grunde jeder. Doch wer will schon diese Wahrheit hören, sehen und sprechen, wo es doch viel mehr den herkömmlichen Gewohnheiten des "braven Bürgers" entspricht die Schuld und einen Sündenbock zu suchen!?