Kommentar Haftung der Bahn: Recht statt Kulanz
Auch wenn die Bahn für Verspätungen haftet: Entscheidend ist beim Bahnfahren nicht die Entschädigung, sondern dass der Zug pünktlich ankommt.
V erträge sind einzuhalten. Wer eine Leistung verspricht, muss sie auch erbringen. Auf diesem Prinzip beruhen moderne Gesellschaften. Auch eine arbeitsteilige Wirtschaft kann nur funktionieren, wenn man sich auf Zusagen der Geschäftspartner verlassen kann.
Für die Bahn galt dies lange Zeit nicht. Als Staatsunternehmen hatte sie das Wohlwollen des Gesetzgebers und durfte ungestraft schlechte Leistungen erbringen. Schadensersatz für Verspätungen war früher nicht vorgesehen. Begründet wurde das damit, dass die Bahn ein äußerst komplexes System sei (was stimmt, aber natürlich auch für viele andere Bereiche der Wirtschaft gilt).
Heute werden Bahnfahrer ernst genommen und haben auch Rechte gegenüber der Bahn. Der verbesserte Verbraucherschutz beruht - wie so oft - auf EU-Vorschriften. Und es war auch der Europäische Gerichtshof, der jetzt entschied, dass für große Verspätungen auch dann eine Entschädigung zu zahlen ist, wenn die Verzögerung auf „höherer Gewalt“, wie Unwettern, beruht. Ein gutes Urteil. EU-Bürger haben mehr gesicherte Rechtsansprüche und sind weniger auf die Kulanz der Bahngesellschaften angewiesen.
Allerdings ist manche Entwicklung auch zwiespältig. Früher wurden in stark verspäteten Zügen unbürkratisch Gutscheine ausgeteilt, die man bei der nächsten Fahrt einlösen konnte. Heute bekommt man nur ein Formular - das man meist aus Bequemlichkeit doch nicht ausfüllt und einreicht. Die Bahn rechnet wahrscheinlich mit dieser Trägheit der Kunden.
Die Diskussion um Verbraucherrechte sollte auch im Mittelpunkt der Bahnpolitik stehen. Entscheidend ist beim Bahnfahren nicht die Entschädigung für Zugverspätungen, sondern dass der Zug pünktlich ankommt. Und da liegt das eigentliche Problem der Bahn - die zuwenig investiert, ihren Wagenpark zuwenig pflegt und zuwenig Personalreserven hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos