Kommentar Grünen-Arbeitsmarktpolitik: Mutlos in der Gerechtigkeitsfrage
Soziale Gerechtigkeit steht bei den Grünen nach wie vor nicht hoch im Kurs. Einen Bruch mit der Agenda 2010 wagt die Partei nicht.
M aue Umfragewerte, schlechte Stimmung: Die Grünen haben allen Grund, sich Sorgen zu machen. Doch einen Ausweg aus der Schulz-Falle bietet auch der „8-Punkte-Plan für einen gerechten Arbeitsmarkt“ nicht, den die Partei jetzt vorgelegt hat. Denn dieser ist dafür zu mutlos.
Was die Parteivorsitzende Katrin Göring-Eckardt und ihre MitautorInnen vorschlagen, geht nicht substanziell über die Vorschläge des SPD-Kanzlerkandidaten hinaus. Nur die Etiketten sind anders beschriftet. Die Grünen reden von „Garantierente“, während Martin Schulz eine „Solidarrente“ fordert. Einzige Ausnahme bildet die mit nur einem Satz erwähnte sanktionsfreie Grundsicherung, die die Grünen „zudem“ anstreben.
Für die von Schulz geforderte Verlängerung des Arbeitslosengeldes I sprechen sich die Grünen hingegen nicht aus. Zu Recht monieren sie, dass die Bezugsverlängerung allein nur den Übergang ins Arbeitslosengeld II verzögern würde. Aber was folgt daraus? Machen die Grünen einen Vorschlag, wie Menschen, die ihr Leben lang geschuftet haben, danach nicht in kürzester Zeit ins Bodenlose fallen? Fehlanzeige. Dabei geht es hier tatsächlich um „Respekt vor den Lebensleistungen der Menschen in unserem Land“, wie es Schulz formuliert hat. Anders als Cem Özdemir glaubt, ist das alles andere als „sehr altbacken“.
Ein Bruch mit der Agenda 2010 – das hätte ein Befreiungsschlag sein können. Doch zu mehr als kleineren Korrekturen am von ihnen mitverantworteten Sündenfall der Schröder-Ära sind die Grünen nicht bereit. Das bedeutet allerdings auch: Soziale Gerechtigkeit steht bei ihnen nach wie vor nicht hoch im Kurs. Da hilft auch keine Camouflage. Es ist peinlich, wenn Göring-Eckardt sich jetzt hinstellt und wahrheitswidrig behauptet, sie habe sich schon 2003 für einen gesetzlichen Mindestlohn eingesetzt. Einiges spricht dafür, dass die Grünen mit ihrem Spitzenduo danebengegriffen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind