Kommentar Globale Konflikte: Jenseits der Friedensbewegung
Die traditionelle Friedensbewegung hat ihr Weltbild zu selten aktualisiert. Wer sich in dem Feld engagiert, kann sie getrost entschlafen lassen.
D ie meisten Kriege finden weit weg in Afrika statt. Dennoch verstärkt sich in Deutschland das Gefühl, dass das Leben erheblich unsicherer geworden ist. Das hat mit einem neuen Krieg in nächster Nähe, nämlich in der Ukraine, zu tun. Und mit den Millionen Menschen, die aus ihren Ländern flüchten müssen.
Noch nie, so die Vereinten Nationen, gab es so viele Vertriebene. Und selten war die UNO so ratlos, wie sie angesichts eines von China oder Russland und gelegentlich auch den USA blockierten Sicherheitsrates auch nur etwas mehr Frieden in die Welt bringen könnte. Sind das nicht beste Voraussetzungen für eine neue Friedensbewegung?
Offenbar nicht. Die unter dem Label „Friedenswinter“ versuchte Wiederbelebung ist kläglich gescheitert, ihre Mahnwachen wurde spielend von rechts unterwandert. Man muss kein Nostalgiker sein, um zu finden, dass die Bewegungen gegen die Stationierung US-amerikanischer Raketen oder den Irakkrieg diese schlecht informierten Enkel nicht verdient haben. Und trotzdem eine gewisse Verantwortung für sie tragen.
Denn auch die zurechnungsfähigen Friedensbewegten, die heute in Friedensforschungsinstituten, in der Linkspartei oder bei den Grünen arbeiten, haben ihr Weltbild zu selten aktualisiert. Manche verdrängen beharrlich, dass das heutige Russland mit der Sowjetunion so wenig zu tun hat wie die USA mit den einstigen Deutschlanderziehern unter Truman und Eisenhower.
Andere sind immer noch nicht in der multipolaren Welt angekommen; wieder andere haben die Arabellion glatt verpasst und die Strukturmerkmale der Postdemokratie nicht durchdrungen. Genau deshalb erscheint ihnen die vertraute Schablone des Kalten Krieges so attraktiv.
Doch wie an den Debatten über die Ukraine prima zu sehen ist: Populistischer Historismus ist keine Lösung. Eine auf die Verteidigung von Menschenrechten basierte Flüchtlingspolitik indessen erlaubt Orientierung auf der Höhe der Zeit. Denn sie verbindet internationale Politik mit nationalen und lokalen Belangen, politische Theorie mit praktischem Engagement vor der Haustür, eine auf Friedenssicherung ausgerichtete Entwicklungspolitik mit einer zeitgemäßen Migrationspolitik.
Wer sich in diesem Feld engagiert, kann die traditionelle Friedensbewegung getrost entschlafen lassen. Denn die braucht wirklich kein Mensch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen