piwik no script img

Kommentar Giegold-WechselRaus aus der APO-Ecke

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Attac-Mitgründer Giegold wird Grünen-Kandidat? Gut für beide Seiten - denn Attac drohte in der Bedeutungslosigkeit zu versinken und die Grünen sind nach drei Jahren Opposition noch immer arg angestaubt.

Sven Giegold wechselt die Seiten. Der Mitgründer von Attac Deutschland war jahrelang ein Wortführer der Globalisierungskritiker, jetzt will er für die Grünen ins Europäische Parlament einziehen. Dieser Wechsel ist der personalisierte Beleg für eine Entwicklung, die sich seit Jahren relativ unauffällig vollzieht: Attac als wichtigster Player der sozialen Bewegungen und etablierte Organisationen wie Parteien oder Gewerkschaften arbeiten längst gut zusammen. Und für beide Seiten ist dieser inhaltliche - und manchmal eben auch personelle - Austausch befruchtend.

Attac hat zum Beispiel derzeit ein Wahrnehmungsproblem. Themen, bei denen die Globalisierungskritiker früher tonangebend waren, sind heute Mainstream. Die EU fordert die Zerschlagung von Stromkonzernen, Bundespräsident Köhler bezeichnet die Finanzmärkte als Monster, und Bürgermeister überlegen, einst privatisierte Stadtwerke zurückzukaufen. Wen interessieren da noch Attac-Statements? Entsprechend dumm wäre es, beleidigt in der APO-Ecke zu schmollen. Im Gegenteil: Das Netzwerk muss sich Partner suchen, die an den Hebeln der Macht sitzen, es muss die institutionelle Offenheit für seine ureigenen Themen strategisch nutzen. Sonst versinkt es in der Bedeutungslosigkeit.

Umgekehrt profitieren auch Grüne, Linke, Gewerkschaften und andere Organisationen von den erwachsen gewordenen Überläufern und vom inhaltlichen Dialog. Wer den direkten Draht zu sozialen Bewegungen pflegt, kann früh zukunftsträchtige Themen aufgreifen - und wirbt bei politisch interessierten Jugendlichen für sich selbst. Denn anders als alle Parteien kann sich Attac über den Zulauf junger Leute freuen. Und schließlich können ungewöhnliche Ideen im Parteiendiskurs nicht schaden, der vor allem von Taktik, Sachzwängen und angeblicher Geschlossenheit geprägt ist.

Und neue Ideen brauchen die Grünen auch - inhaltlich wirken sie nach drei Jahren Opposition noch immer angestaubt. Doch allzu viel darf man sich von den Neuzugängen nicht erwarten. Wie sehr die Institutionen diejenigen prägen, die sie durchschreiten, haben die Grünen während der rot-grünen Regierungsjahre gezeigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 3G
    372 (Profil gelöscht)

    @Piratenpartei Womit messt ihr diesen Zulauf genau? In absoluten Zahlen sicherlich nicht. Und nochwas: Frauen sind auch wichtig.

  • P
    Piratenpartei

    Naja, also bei der Piratenpartei ist der Zulauf in der Altersgruppe von 15 bis 30 wohl am größten. Liegt allerdings natürlich auch an der schlechten Politik der derzeitigen und vorherigen Regierung, die Bürgerrechte seit Jahren massiv einschränkt und mit einem Überwachungsgesetz nach dem anderen, die jungen, engagierten Menschen zu uns treibt.

     

    => www.piratenpartei.de

  • WH
    Wolfgang Hörner

    Geißler von der CDU zu Attac und Giegold von Attac zu B90DieGrünen. Alles klar für schwarz-grün? Dies steckt doch dahinter.

    Nun können sich die Partner bei einigen Diskussionen, Cohn-Bendit und Giegold, richtig begrüßen.