Völkerrechtler über UN-Resolution 1973: "Die Nato darf Gaddafi festnehmen"
Die UN-Resolution 1973 gibt der Nato weitreichende Befugnisse, selbst Bodentruppen sind möglich, sagt der Völkerrechtler Andreas Zimmermann. Nur eine Besatzung nicht.
taz: Herr Zimmermann, ohne Hilfe der Nato hätten die Rebellen sicher nicht so schnell gesiegt. War der Nato-Einsatz völkerrechtlich zulässig?
Andreas Zimmermann: Grundsätzlich war das Engagement der Nato vom Völkerrecht gedeckt. Der UN-Sicherheitsrat hatte im März beschlossen, dass "alle notwendigen Maßnahmen" zum Schutz der Zivilbevölkerung vor Angriffen des Gaddafi-Regimes gerechtfertigt seien.
Es war aber nicht vereinbart, dass die Nato als Luftwaffe der Rebellen agiert und den Weg nach Tripolis freibombt.
Der Regimewechsel war kein Ziel der UN-Resolution 1973. Aber die Nato durfte auch militärische Ziele in Tripolis angreifen, soweit von dort Angriffe der Regierungstruppen auf Zivilisten koordiniert wurden. Letztlich wird die Sicherheit von Zivilisten nicht nur von dem Panzer gefährdet, der auf Wohnviertel schießt, sondern auch vom Befehlshaber, der dies anordnet.
Beim Sturm auf Tripolis sollen auch britische und französische Kommandoeinheiten und Berater beteiligt gewesen sein. Diente das noch dem "Schutz der Zivilbevölkerung"?
Ich kenne die Lage vor Ort nur aus den Medien. Aber Gaddafi hatte seine Anhänger aufgerufen, die Stadt von "Teufeln und Verrätern" zu säubern. Dadurch waren auch Zivilisten bedroht, die mit den Rebellen sympathisieren.
Hat die UN-Resolution Bodentruppen nicht ausgeschlossen?
Nein. Ausgeschlossen wurden nur "ausländische Besatzungskräfte", also eine Kontrolle des Landes - oder von Teilen des Landes - durch ausländische Militärs. Der punktuelle Einsatz von Bodentruppen zum Schutz der Zivilbevölkerung oder etwa zur Rettung eines abgeschossenen Piloten war durchaus möglich.
Haben britische und französische Soldaten mehr Befugnisse, wenn sie außerhalb der Nato agieren?
Nein, auch für sie war die UN-Resolution 1973 die Grundlage. Auch sie waren auf Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung beschränkt.
Der Internationale Strafgerichtshof hat Ende Juni Haftbefehle gegen Gaddafi, seinen Sohn Saif und den Geheimdienstchef erlassen. Hatte sich dadurch das Mandat der westlichen Truppen erweitert?
Nein. Ein Haftbefehl aus Den Haag gibt ausländischen Truppen kein Recht zu militärischen Kommandoaktionen. So darf die Nato auch nicht einfach im Sudan intervenieren, um den ebenfalls vom Strafgerichtshof angeklagten sudanesischen Staatschef Omar al-Bashir festzunehmen.
Dürfte Gaddafi von der Nato also gar nicht inhaftiert werden?
Doch. Gaddafi darf festgenommen werden, etwa um zu verhindern, dass er Racheakte gegen die Zivilbevölkerung organisiert. Und wenn er inhaftiert ist, müssen Staaten wie Frankreich oder Großbritannien mit dem Strafgerichtshof in Den Haag kooperieren.
Dann würde Gaddafi also nach Den Haag überstellt?
Nicht unbedingt. Den Haag ist immer nur zuständig, wenn die nationale Justiz bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ähnlichen Staatsverbrechen nicht ernsthaft ermitteln will oder kann. Falls eine neue libysche Regierung Gaddafi selbst vor Gericht stellen würde, hätte dieses Verfahren Vorrang.
Die UN-Resolution 1973 wurde am 17. März 2011 verabschiedet. Wie lange gilt sie noch?
Sie ist nicht befristet. Wenn allerdings die Rebellen endgültig die Kontrolle des Landes übernommen haben, können sie völkerrechtliche Verträge mit der Nato oder einzelnen Staaten schließen, um deren Befugnisse in Libyen zu regeln. Im gleichen Maße verliert Resolution 1973 dann ihre Bedeutung und dürfte alsbald durch eine neue Resolution ersetzt werden.
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