Kommentar G20-Proteste in Hamburg: Professionelle Eskalation
Im Vorfeld des G20-Gipfels gibt sich die Polizei alles andere als deeskalativ. Im Gegenteil: Willkürlich probt sie den Ausnahmezustand.
M an muss sich das mal vorstellen: Würde ein G20-Gipfel in, sagen wir, Sankt Petersburg stattfinden, und würden noch vor Beginn des Gipfels Menschen, die beim abendlichen Bier zusammen stehen, mit Wasserwerfern auseinandergetrieben – hierzulande wäre die Hölle los.
Polizeistaat!, würden es heißen, Verletzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit! Aber der Gipfel findet nicht in Sankt Petersburg statt, sondern in Hamburg. Und weil offenbar ganz klar ist, dass hier immer alles mit rechtsstaatlichen Mitteln zugeht, und weil die Polizei ja schließlich den reibungslosen Ablauf des Gipfels schützen muss – schwer genug in einer Großstadt – ist hier eben nicht die Hölle los.
Doch die Polizei probt in Hamburg in bester Manier der Selbstermächtigung den Ausnahmezustand. Sogar sie selbst räumt auf Nachfrage ein, dass Straftaten vor dem Einsatz nicht vorgelegen hätten – nur Personen hätten sich auf der Fahrbahn befunden, die nach Aufforderung nicht zur Seite gegangen wären. Echt jetzt? Wasserwerfer gegen ein Straßenfest?
Potenzgehabe der Polizei
Verhältnismäßigkeit der Mittel ist noch so ein rechtsstaatliches Prinzip, das von der Polizei mal eben nass gemacht wird. Fast müsste man lachen über das ganze Potenzgehabe. Jetzt hat die Polizei die neuen Wasserwerfer, da muss sie sie auch ausprobieren. Jetzt ist sie schon mal mit 20.000 Männern und Frauen im Einsatz, da sollen die auch was zu tun haben.
Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.
Abreaktion und Triebabbau müssen sein, wir wissen ja schon, was passiert, wenn man den Leuten nichts zu tun gibt.
Aber das, was hier gezeigt wird, ist professionelle Eskalation. Was zurück bleibt, sind Wut und Frust und Unverständnis. Und wenn es in den nächsten Tagen knallt, ist ja klar, wer Schuld ist: Es sind, wie immer, die Chaoten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus