Kommentar Fünf-Prozent-Hürde: Schafft sie endlich ab!
Ein Wahlsystem, das den Bürger dazu verleitet, für eine Partei zweiter Wahl zu stimmen, kann nicht gerecht sein.
E s ist die Überraschung der Niedersachsenwahl: Die FDP landet bei 9,9 Prozent. Dabei wurde sie von den Meinungsforschern gerade mal bei 5 Prozent gesehen. Haben die Bürger bei den Umfragen gelogen? Oder haben sich die Institute verrechnet? Weder noch. Ausschlaggebend war die Fünfprozenthürde, die sich zum Katapult für die Wahlentscheidung entwickelt hat – und damit zum Problem.
Ein Blick auf die letzten Wahlen verdeutlicht: Im Saarland wurden der FDP etwa 3 Prozent vorhergesagt. Sie fiel auf 1,2. In Schleswig-Holstein wurden ihr rund 5 Prozent prognostiziert – sie errang 8,2. Ähnliches war bei den Piraten zu beobachten, die in Berlin von prognostizierten 4,5 auf 8,9 Prozent hochschnellten. Und die jetzt in Niedersachsen statt der erwarteten 3 nur 2,1 Prozent bekamen.
Aus Sicht des Wähler ist das logisch. Machen sie ihr Kreuz bei SPD oder CDU, gilt das Prinzip: jeder Mensch eine Stimme. Votieren sie für eine Splitterpartei, zählt ihre Stimme gar nicht. Verhelfen sie aber einer Kleinpartei über die Fünfprozenthürde, zählt ihr Kreuz quasi doppelt.
ist Leiter der Redaktion taz.eins.
Denn erst durch das eigene Votum gewinnen tausende andere an Wert. Das macht die Stimmabgabe für auf der Kippe stehende Kleinparteien – trotz des Risiko des Totalverlusts – so ungleich attraktiv. Ungleichheit aber ist der gröbste Verstoß gegen das demokratische Prinzip.
Das Problem ist nicht ganz neu. Doch je weniger Menschen sich als Stammwähler an eine Partei gebunden fühlen, desto mehr wird das Ergebnis verzerrt. Ein Wahlsystem, das den Bürger dazu verleitet, für eine Partei zweiter Wahl zu stimmen, kann nicht gerecht sein. Für die Europawahlen hat das Bundesverfassungsgericht die Fünfprozenthürde unlängst gekippt, weil sie ein Verstoß gegen die Chancengleichheit sei. Für alle anderen Wahlen in Deutschland ist dieser Schritt überfällig.
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