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Kommentar Folter in VideospielenDie alltägliche Dosis Schmerz

Daniel Schulz
Kommentar von Daniel Schulz

Folterszenen in dem Konsolenspiel „Grand Theft Auto“ sind umstritten. Dabei fördern Videospiele als Kunstwerke die Reflektion der Realität.

Virtuelles Abbild der Realität: Szenenbild aus GTA V. Bild: ap

F olter ist anstrengend. Der Widerstand, wenn dem Gefangenen ein Zahn nach dem anderen gezogen wird. Die Schreie, wenn der Strom einer Autobatterie durch seinen Körper jagt. Zertrümmern der Kniescheiben mit einem Schraubenschlüssel.

Im Computerspiel „Grand Theft Auto V“ spielt man einen Psychopathen, Trevor. Und der muss für den Geheimdienst FIB einen Mann foltern, weil der die Identität eines Terroristen kennen soll.

Ohne diese Information geht das Spiel nicht weiter. Also zieht man dem Opfer die Zähne. Indem man den rechten Stick des Controllers im Kreis dreht, immer und immer wieder.

Mit dem linken Stick schüttet man dem Mann Wasser über sein mit einem Tuch bedecktes Gesicht. Waterboarding. Am Rand des Bildschirms steht in feiner weißer Schrift die Anweisung für die nächste Tortur: „Drücke R2 um den Schraubenschlüssel zu schwingen.“

In Foren und auf YouTube diskutieren SpielerInnen über die Brutalität des Spiels und über Selbstekel. Viele wollen nicht mehr weitermachen. Dabei sind viele Spiele brutal, aber sie sind es normalerweise beiläufiger. In Egoshootern mähen die SpielerInnen reihenweise Gegner um, ohne sich damit irgendwie beschäftigen zu müssen.

Es geht nicht um Brutalität oder Moral

Aber man sollte sich nicht täuschen: Bei der Diskussion um die Folterszenen geht es nicht so sehr um Brutalität, weniger auch um Moral. Millionen Menschen haben in dieser Woche das Finale von „Breaking Bad“ gesehen, einer Serie, die sich ebenfalls um eine Verbrecherkarriere dreht.

Und wie die Protagonisten von GTA hilft Hauptfigur Walter White seinem Aufstieg vom unterbezahlten Chemielehrer zum Drogenkönig nach, indem er andere ableben lässt. Ohne dass jemand dabei den Zeigefinger hebt und erklärt, wie böse das alles ist.

Das Fernsehen nutzt in „Breaking Bad“ schlicht seine Mittel: erzählen, zeigen, emotionalisieren. Abstiegsängste der Mittelschicht, Drogenkrieg – was in Nachrichtensendungen abstrakt bleibt, entfaltet sich hier im Kopf der Zuschauer in all seiner Farbe. Es gibt ihnen eine Ahnung davon, was es hieße, zu begreifen. Es berührt.

Ebenso wie das stete Balancieren zwischen Moral und Macht bei Birgitte Nyborg – Politikerin und Hauptfigur in der dänischen Serie „Borgen“, von der in dieser Woche die dritte und letzte Staffel anlief. Wie diese Frau sich immer weiter korrumpieren lässt, in kleinen Schritten, dabei stets hehre Ziele vor Augen, ist irre: Wen die Bundestagswahl kalt ließ, sollte sich „Borgen“ ansehen.

Eine Haltung wird nicht vorgegeben. Wer möchte, kann „Borgen“ als Bestätigung all dessen sehen, was er schon immer Schlechtes von der Politik gedacht hat. Und „Breaking Bad“ lässt sich auch als Aufforderung lesen, ein mordbrennendes Arschloch zu sein. „Zeit Online“ hielt das nicht davon ab, der Serie als einem „der besten amerikanischen Fernseh-Epen“ hinterherzuweinen, in welchem die „essentiellen Fragen des Lebens in einer kristallklaren Gnadenlosigkeit erörtert“ würden.

Spieler werden zu Tätern

Gnadenlos ist auch die Folterszene bei GTA – eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen sich SpielerInnen mit dem Leiden eines virtuellen Gegenübers auseinandersetzen müssen. Anders als in „Breaking Bad“ können sie dem Täter aber nicht nur zuschauen. Sie werden der Täter. Muss das sein?

Sollen Spiele nicht vor allem Spaß machen, die Flucht aus dem Alltag erlauben, schnelle Erfolge ermöglichen – also wenig mit dieser Welt zu tun haben? Oder sind sie auch Mittel, sich mit Realitäten auseinanderzusetzen, Dinge schärfer und unvermittelter zu sehen? Also Kunst?

Spiele als Gattung sind beides, Zwitter, galten lange aber nur als pubertärer Zeitvertreib. Spieler, Medien und die Games-Industrie haben dafür gekämpft, dass Spiele nicht nur als Unterhaltung, sondern auch als Kunst anerkannt werden. Entsprechend veränderten sich auch die behandelten Stoffe und wie sie diskutiert werden.

Die umstrittene Sequenz in GTA V bezieht sich auf eine der spannendsten und grausamsten Episoden der Realpolitik: Guantánamo. Wann war man als Unbeteiligter der Realität von fernen Folterlagern je näher?

Jedes Kunstwerk entsteht erst im Zusammenspiel mit der BetrachterIn. Beim Computerspiel aber ist die Interaktion besonders intensiv, besonders körperlich. Der Spieler ist Gott und Sklave in einer Person – ohne ihn gehen die Geschichten nicht weiter, zugleich ist er ihnen unterworfen.

Diese Geschichten fügen sich derzeit allerdings noch recht ungeschlacht zusammen. Das Unbekümmerte, Anarchische und der Wunsch, auch von Abgründigem zu erzählen, stehen in Computerspielen oft nebeneinander wie zwei Fremde an der Bushaltestelle. Das Holzschnittartige des sadistischen Trevor in GTA 5 entstammt einem Spiel, das ausschließlich Spaßmacher sein will. So etwas geht schief, wenn es plötzlich ernst wird. Bis zu der Meisterschaft, mit der das Fernsehen inzwischen den inneren Verfall eines Walter White zeichnet, ist es noch weit. So gesehen, ist die Folterszene bei GTA V erst der Anfang.

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Daniel Schulz
Reportage und Recherche
Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.
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5 Kommentare

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  • G
    Gast

    Der Mensch bezieht einen Lustgewinn aus Gewalt, warum ist das Aktzeptieren dieser Wahrheit so schwer? Da wird endlos verkomplifiziert und verwissenschaftlicht, wie erbärmlich, anscheinend dient Bildung nur der Reduktion von kongnitiver Dissonanz. Ich spiele diese Reihe seit 13Jahren und habe noch nie einen getroffen, der da sagt:" Wow, dieses Spiel hat mir gerade wirklich eine neue Perspektive auf die vielfältigen Formen struktureller Gewalt in unserer Gesellschaft eröffnet". GTA macht einfach Fun, es macht Fun, weil es dem Spieler erlaubt so destruktiv wie möglich zu sein. Die unglaublich schön gestaltete und detailverliebte Welt, all das dient doch nur der noch effektvolleren Inszenierung der Zerstörungswut. Erinnernd in etwa an ein Kind, dass die Bauklötze besonders schön drapiert, um sie danach noch besser umschmeißen zu können. Ironische Gesellschaftskritik? Ist eigentlich mehr Zynismus, der die Gewaltorgie rechtfertigt a la "die anderen sind auch nicht besser". Sind sie auch nicht, so eine populäre Fernsehserie wie Dexter muss ihren Hauptprotagonisten schon Kinderschänder und Perverse foltern lassen, damit der Zuschauer über die Entmenschlichung der Opfer zu seinem Gewaltorgasmus ohne schlechtes Gewissen kommt.

  • P
    paulianer

    hm kommt n bissl spät nach dem das spiel in 5 tagen über 16 millionen mal verkauft wurde...

     

    der aufschrei über die folter is auch merkwürdig hab davon noch garnix mitbekommen...

     

    im großen und ganzen is das ja n kleines add on zu killerspiel debatte...weil das kein mehr juckt wird nun über ein wenig virtuelle pixel folter gejammert...am ende taten aber nur die finger weg vom blöden joystick ^^

  • J
    Jay

    "Das Holzschnittartige das sadistischen Trevor etwa entstammt einem Spiel, das ausschließlich Spaßmacher sein will."

     

    Ich fürchte Sie haben die GTA-Reihe nicht verstanden (oder kennen sie nicht wirklich). GTA war schon immer Gesellschaftskritik, im Großen wie im Kleinen. Diese Folterszene reiht sich da nahtlos ein, da wird nichts *plötzlich* ernst.

    • UF
      Ulrich Frank
      @Jay:

      Das würde mich aber schon interessieren was bei dem, was hier positiv als "Gesellschaftskritik" ausgegeben wird, herauskommen soll - anderes als eben die vorliegende überzeichnende Reproduktion. Ich sehe hier nichts was sich produktiv einklinkt und am Ende nicht doch zur Nachahmung und Abreaktion einlädt.

      • J
        Jay
        @Ulrich Frank:

        Zum einen ist Überzeichnung immer ein gutes Mittel, um schlechte Zustände zu verdeutlichen, zum anderern arbeitet das Spiel nicht nur damit.

        Ein sehr gutes Beispiel aus der GTA-Reihe ist, dass in jedem Spiel die Polizei erst ab dem zweiten Fahndungslevel anfängt auf den Spieler zu schießen - außer in "GTA: San Andreas", in dem man einen Afro-Amerikaner spielt. Dort wird sofort geschossen. Was das Spiel auch schwieriger macht. Nachlebbare Diskriminierung quasi.

         

        Und egal wie die Folter-Szene auch gestaltet sein mag (ich kenne sie persönlich noch nicht), sie hat auf jeden Fall Wirkung gezeigt. Es ist doch eine gute Sache, wenn die meisten Leute sich vom Foltern angeekelt fühlen und sie nicht vollziehen wollen.

        Auch die ganze Debatte selbst steht wunderbar exemplarisch für ein typisches Problem unserer Gesellschaft: Es gibt einen großen Aufschrei wegen einer Folterszene in einem Spiel, während zur gleichen Zeit echte Menschen in der Realität tatsächlich gefoltert werden. Aber darüber liest man weniger, der Aufschrei darüber ist von gestern.

         

        Also wenn das Spiel solche Wirkung zeigt, scheint es als Kunst funktioniert zu haben.

        Man könnte eher sagen, dass es als simples Abreagier-Spielchen nicht so recht funktioniert hat.