Kommentar Flugkörpertest in Nordkorea: Raketenmanns Endstufe
Nordkorea lässt wieder eine Rakete steigen. Das ist provokant, besonders für die USA. Dennoch sollte Washington auf Diplomatie setzen.
Es war ein gewaltiger Knall mit Ansage: Bereits am 1. Januar hatte Kim Jong Un für 2017 angekündigt, sein Interkontinentalprogramm bis zum Jahresende zu vervollständigen. Knapp zwölf Monate später scheint sein Ziel erfüllt. Die Hwasong-15 Interkontinentalrakete ist de facto mächtig genug, um jeden Winkel des US-Festlandes ins Visier nehmen zu können. Kim selbst spricht davon, seine Mission eines Nuklearstaates „erreicht“ zu haben.
Natürlich sollte dies der internationalen Gemeinschaft Grund zur Besorgnis sein. Kriegsgelüste, wie sie derzeit bevorzugt von republikanischen US-Senatoren in die Fernsehkameras hinausposaunt werden, weisen dennoch in die komplett falsche Richtung. Nordkoreas Endstufe wohnt nämlich auch ein Neuanfang inne.
Wie dieser ausschauen wird, hängt vor allem auch von der US-Regierung ab. Die Politiker in Washington wären gut beraten, ihren renommierten Nordkorea-Forschern Beachtung zu schenken. Dann würden sie erkennen, dass sich gerade jetzt ein lange ersehntes Zeitfenster für diplomatische Verhandlungen öffnen.
Allein die Rhetorik Kim Jong Uns legt nahe, dass wir uns vorerst auf eine Zeit ohne Raketentests einstellen können. Auch statistisch wird dies durch einen Blick ins Archiv unterstützt: Seit 1984 hat Nordkorea in den Dezembermonaten bis dato überhaupt nur jeweils zwei Raketen abgefeuert, in den Januarmonaten desselben Zeitraums gar nur eine.
Gleichzeitig fühlt sich das Regime in Pjöngjang erstmals in seiner Position sicher genug, Verhandlungen zuzulassen – weil es von einer Position der Stärke heraus agiert. Ihr Wetteinsatz ist hoch genug. Mit den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang steht der geeignete Rahmen für eine diplomatische Annäherung an. Südkorea wäre schlussendlich mehr als gewillt, sein Credo von historischen „Friedensspielen“ auch politische Taten Folgen zu lassen.
Eine mögliche Lösung könnte der von China vorgeschlagene „double freeze“ sein: Nordkorea friert sein Atomprogramm ein, während Südkorea die gemeinsam mit der US-Armee veranstalteten Militärübungen deutlich reduziert. Nordkorea würde sich einen solchen Deal teuer bezahlen lassen – mit Öllieferungen etwa, oder Entschädigungszahlungen der Amerikaner für den Koreakrieg.
Damit wäre die Weltgemeinschaft letztlich am selben Punkt wie vor 23 Jahren mit dem Genfer Abkommen angelangt. Zusätzlich würde wohl jeder realistische Deal mit Nordkorea zu machen, der bei der kleinsten Frustration wieder rückgängig gemacht werden könnte. Das ist alles andere als eine gute Option – aber immerhin die beste, die angesichts der derzeitigen Lage im Bereich des Machbaren scheint.
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