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Kommentar FlüchtlingsquoteQuote oder Tote

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Wenn die EU sich noch als Gemeinschaft versteht, braucht sie die Quote in der Asylpolitik. Die Mittelmeeranrainer sind schon jetzt heillos überfordert.

Vor Lampedusa trifft die private Flüchtlingshilfe MOAS auf ein Boot mit 105 Menschen. (Archiv) Bild: dpa

S o kompliziert die europäische Flüchtlingspolitik ist, eines steht immerhin fest: Sie muss sich dringend ändern. Es geht nicht mehr, dass offiziell nur die EU-Staaten für Asyl zuständig sind, in denen die Flüchtlinge zuerst ankommen. Bei weiter steigenden Flüchtlingszahlen wird dieses System, das einst federführend von Deutschland durchgesetzt wurde, erst recht nicht mehr funktionieren.

Die EU-Kommission hat jetzt einen ersten kleinen, aber wichtigen Schritt getan: das Eingeständnis des Scheiterns. Indem Brüssel eine freiwillige Quote zur Verteilung in der EU in akuten Notfällen vorschlägt und diese als „Pilotprojekt“ bezeichnet, signalisiert die EU immerhin Reformbereitschaft. Aus der freiwilligen soll eines Tages eine echte, verbindliche Quote werden. Genau deshalb haben britische und osteuropäische Politiker auch sofort entsetzt protestiert: Bloß keine Quoten!

Aber anders wird es nicht gehen, jedenfalls wenn sich die EU noch als eine Gemeinschaft versteht, die Rechte und Pflichten halbwegs gerecht verteilt – auch in Sachen Asyl. Die ohnehin ärmeren Mittelmeeranrainer sind überfordert. Sie registrieren die Menschen oft gar nicht mehr, verweigern die Versorgung oder schicken sie weiter mit dem Rat, anderswo ihr Heil zu suchen.

Was dann folgt, ist Willkür: Manche Länder, wie Deutschland und Schweden, die offiziell gar nicht zuständig wären, nehmen zum Glück relativ viele Flüchtlinge unter relativ guten Bedingungen auf. Deshalb versuchen auch relativ viele Flüchtlinge, hierherzugelangen. Andere Länder behandeln Flüchtlinge schlechter, weshalb dort auch die wenigsten hinwollen.

Nötig ist es, alle EU-Staaten zu verpflichten, menschenrechtliche Standards einzuhalten und so viele Flüchtlinge aufzunehmen, wie es ihrer Größe und Wirtschaftskraft entspricht. Das kann für Deutschland bedeuten, mehr Flüchtlinge als jetzt aufzunehmen. Aber nur mit solchen Quoten wird die Aufnahme von Flüchtlingen dauerhaft Akzeptanz finden. Klar, Quoten einzuführen, wird sehr schwer – weil Länder Zugeständnisse machen müssten, in denen rechte Parteien jetzt schon stark sind. Aber man muss es versuchen. Wenn die Kanzlerin dabei auch nur halb so viel Führungswillen bewiese wie bei der Sparpolitik, wäre schon viel gewonnen.

Alternativlos sind Quoten nicht. Die Alternative ist der kleinste gemeinsame Nenner, der sich mit den Militäraktionen gegen Schlepper bereits abzeichnet: Abschottung.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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3 Kommentare

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  • Eine Quote ist überfällig.

     

    Ebenso ist es überfällig, dass eine offene Diskussion darüber geführt wird, wieviele Menschen pro Jahr in Deutschland aufgenommen werden. Sollen es 400.000 Menschen sein oder 500.000 oder 600.000?

     

    Dann könnte die staatliche Planung mal etwas in Schwung kommen mit all den erforderlichen Maßnahmen wie Reanimierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes (zumindest in Berlin wäre das erforderlich), Wohnungsbau, Bau von Kitas und Schulen, Einstellung von Lehrern und Erziehern.

     

    Und schließlich die Frage, wer zahlt das Ganze? Überlegungen zu Steuererhöhungen werden von den Parteien, bis auf die Linke, ängstlich vermieden. Aber wenn wir in den nächsten 10 Jahren jedes Jahr eine halbe Million Flüchtlinge aufnehmen wollen, dann müssen wir mal anfangen, über viele Herausforderungen nachzudenken und zügig zu handeln.

  • Gibt es eigentlich (noch) Solidarität innerhalb der EU?

     

    Abgesehen vom United Kingdom, das ja immer schon sein "Money back" haben wollte,

    verstehen auch andere EU-Staaten Solidarität nur als Solidarität, die man ihnen zukommen lässt.

     

    Anstatt gemeinsam europäische Probleme zu lösen, wird sich weggeduckt, Verantwortungen abgeschoben und die polemische Trommel geschlagen.

     

    Ein Europa der Völker sieht anders aus.

  • „Manche Länder, wie Deutschland und Schweden, die offiziell gar nicht zuständig wären, nehmen zum Glück relativ viele Flüchtlinge unter relativ guten Bedingungen auf.“

     

    „Relativ“ ... ach ja. Vielleicht sollte man langsam angesichts der entsprechenden Realitäten in fast allen anderen Ländern auch mal ein bisschen anerkennen, wie es hierzulande läuft ...