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Kommentar FlüchtlingspolitikAus den Augen, aus dem Sinn

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Wenn die Türkei dafür sorgt, dass keine Flüchtlinge mehr nach Griechenland kommen, wird ihre Situation noch schlimmer.

Kontrollturm an der türkisch-griechischen Grenze nahe Nea Vyssa Foto: dpa

A ngela Merkel wird bald aufatmen können. Schneller, als sie vielleicht erwartet hat, hat die Türkei, wie von der EU erhofft, an der Küste zusätzliches Militär und Polizei aufmarschieren lassen, die nun kräftig dabei sind, den weiteren Zuzug von Flüchtlingen nach Europa „zu begrenzen“. Da Mazedonien ohnehin schon etlichen Flüchtlingen die Durchreise nach Deutschland verwehrt, wird nun eintreten, was Merkel und viele andere Politiker sehnlichst erwarten: Die Anzahl der Flüchtlinge, die die deutsche Grenze erreicht, wird merklich abnehmen.

Doch leider tut die EU, tut Deutschland nicht, was sie im Gegenzug versprochen haben. Die Lage der syrischen Flüchtlinge in der Türkei und anderen Nachbarländern des Bürgerkriegslandes sollte durch Geld und vielfältige Hilfe so weit verbessert werden, dass die Flüchtlinge freiwillig dort bleiben, statt sich auf den Weg nach Europa zu machen. Es gibt aber keine zusätzlichen Auffanglager, keine legalen Arbeitsmöglichkeiten, und mehr Schulplätze für syrische Flüchtlingskinder sind auch nicht in Sicht.

Stattdessen wird die Situation schlimmer. Die Lager in Nordirak sind eine einzige Katastrophe, und es kommt immer weniger Hilfe dort an. Genauso sieht es im Libanon aus. Auch in der Türkei gibt es bislang nur Repression und keine Hilfe.

Aus den Augen, aus dem Sinn – das fürchten viele türkische Menschenrechtsgruppen –, wird die Haltung Europas sein. Sorgt das türkische Militär erst einmal dafür, dass keine Menschen mehr illegal nach Griechenland kommen, ist das Versprechen, legale Wege nach Europa zu schaffen, schnell vergessen.

Weder sind die versprochenen drei Milliarden Euro zusammen, noch ist ein Kontingent für die legale Einreise in Sicht. So droht die Ignoranz von vor einem Jahr zurückzukehren, als Not und Tod sich weitab von unseren Grenzen abspielten.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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15 Kommentare

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  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Stimmt, leider.

    Aber wir kennen das ja von den zahllosen Hilfszusagen der letzten Jahre, was am Ende davon ankommt bzw. übrigbleibt.

    Schäbig, dürftig, würdelos.

  • Vor einem Jahr hat auch Deutschland die Hilfen für die UN, Unicef, UNHCR... gekürzt, sodass die Menschen in den Flüchtlingslagern nicht mehr versorgt werden können. Der Hunger kehrte ein und die Menschen machten sich auf den Weg nach Europa. Das hat im Frühjahr schon Frontex erkannt, aber wir haben uns nicht dafür interessiert, denn wir waren damit beschäfigt, den Griechen das letzte Hemd auszuziehen und sie am Ende zu demütigen. Ausgerechnet Griechenland! Das Land, dass nach Dublin II die Hauptlast der Asylverfahren zu bearbeiten hätte.... Wir sind selbst Schuld.... und wir haben nichts draus gelernt..... Grenzen können diese Menschen nicht aufhalten. Einzig die Frage ist, wie viele Sterben dabei.... Wenn wir den Erfolg unserer Politik da dran messen, dann sind wir auf dem Weg ungeahnte Höhen zu erreichen....

  • Von unserer hochnäsig zur Schau getragenen Superiorität bleibt nichts mehr übrig. Außer Gewalt. Außer Angst.

     

    Jeder Staat igelt sich ein. Die Flüchtlinge sind personae non gratae. Sollen sie doch anderswo krepieren!

     

    So sind wir immer mit minderwertigen und undankbaren Völkern umgesprungen. Minderwertig sind sie bekannlich alle.

     

    Christliches Abendland!

    • @Harry Haller:

      Christliches Abendland?

       

      Weil ja die islamisch geprägten Länder dieser Erde ja soooo vorbildlich ist.

      Mag ja sein das sie das christliche Abendland mit seiner Asylpolitik scheiße finden - besser als das was der Rest der Welt macht ist es allemal.

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Naja, das "christliche Abendland" hat bislang 7% der syrischen Flüchtlinge aufgenommen. Die islamisch geprägten Länder Türkei, Jordanien, Libanon, Irak und Ägypten die restlichen 93%.

         

        Da haben Sie schon Recht, dass die islamischen Länder da vorbildlich sind.

        Inwiefern denken Sie denn, sollte sich die BRD mehr in Richtung o.g. Länder verändern?

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Was haben Sie persönlich dazu beigetragen, im christlichen Abendland geboren zu werden? Was ist Ihr Verdienst, das ein Anderer unter denselben Voraussetzungen nicht hätte leisten können?

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Ja nun. Jesus hat nicht gesagt, man solle die eigene Messlatte nur so hoch legen, wie es andere tun. Vielmehr hat er davon gesprochen, anderen Vorbild zu sein.

         

        "...besser als das was der Rest der Welt macht ist es allemal."

        Ja, Mann. Abendland, Abendland über alles.

  • Gute Analyse!

    Ganz ähnlich geht Europa mit den Flüchtlingen aus afrikanischen Staaten um:

     

    Über Europas kurzsichtige Flüchtlingspolitik: Wie der Kontinent Fluchtursachen mitverursacht, warum europäische Gegenmaßnahmen zu kurz greifen und wie sich afrikanische Politiker zur europäischen Politik äußern

    https://zebralogs.wordpress.com/2015/11/25/der-fluchtlingsgipfel-von-malta-uber-europas-kurzsichtige-fluchtlingspolitik/

  • Man kann es als ignorant bezeichnen. Aber woher kommt überhaupt die Anspruchshaltung das wenn sich Bürger eines Nicht-EU-Landes gegenseitig umbringen, die EU einspringt und hilft?

    • @Tim Leuther:

      Ach so, da kommen lauter Mörder zu uns ? Wollen sich vll hier nur vor der Strafverfolgung drücken. Na da haben Sie mit Ihrer Skepsis natürlich vollkommen recht.

    • @Tim Leuther:

      Vielleicht weil die EU nicht so viele Rohstoffe besitzt, um all den technischen Fortschritt und unseren aufwändigen Lebenstil zu ermöglichen? Weil das nun mal Alles irgendwo herkommen muss und in den Ländern aus denen es kommt, Krieg und Elend verursacht?!

      • @Ute Krakowski:

        Natürlich Rohstoffe werden auch geklaut und nicht gekauft. Und dadurch gibt es Elend in Norwegen (Öl), Rußland (Gas), Saudi Arabien (Öl), Australien (Kohle, Erz) und den anderen Staaten die mir gerade nicht einfallen.

        • @Adreas:

          Lieber @Adreas, hab ich extra gesagt, dass die EU nicht SO VIELE Rohstoffe hat. Natürlich gibt es auch Öl in Norwegen, Gas in Russland und Kohle, Erz in Australien (Wobei da ja der gesamte Kontinent den Ureinwohnern geklaut wurde.) Nichtsdestotrotz wäre unser Fortschritt nicht möglich z.B. ohne Kautschuk, der im großen Stil im Kongo gewonnen wurde, unter brutalst möglicher Ausbeutung der dortigen Bevölkerung.

          https://de.wikipedia.org/wiki/Kongogräuel

          (nur um ein Beispiel zu nennen, wär schön, wenn Sie sich den verlinkten Artikel auch mal durchlesen)

           

          Naja, natürlich sind die USA und andere Industrieländer auch stark beteiligt an der dieser Ausbeutung. Nur sind die so weit weg vom Geschehen, dass sie sich nicht mit den Folgen befassen müssen, im Gegensatz zu Europa.

          • @Ute Krakowski:

            Naja, und was gerade den Syrien-Konflikt betrifft: Da sollten wir uns wohl einig sein, dass gerade in dieser Weltengegend, der reichen Erdölvorkommen zuliebe, immer die Herrscher hofiert wurden, die am effektivsten für "stabile Verhältnisse" sorgten. (Natürlich ist ein gewisser Herr Busch aus USA auch nicht grade unschuldig an der Lage im Nahen Osten.) Und als in Lybien die Leute aufgestanden sind gegen Ghaddafi haben hier alle gejubelt. Was jetzt in Syrien passiert, ist das Resultat dieses "arabischen Frühlings". Davon wollen wir aber plötzlich lieber nix mehr wissen. Jetzt sind es plötzlich nur noch "Leute, die sich gegenseitig umbringen"...??!!