Kommentar Flüchtlingscamp-Räumung: Vertreibung mit System
Paris' größtes Flüchlingscamp „Le Millénaire“ wurde geräumt. Was aus den Bewohnern später werden soll, ist unklar. Dahinter steckt Kalkül.
D ie Pariser Stadtbehörden lassen per Communiqué danken. Wie die Bürgermeisterin Anne Hidalgo dies seit Wochen gewünscht hat, wurde am frühen Mittwochmorgen ein Flüchtlingscamp mit mehr als tausend Menschen an einem Kanalufer am nördlichen Stadtrand von Paris von der Polizei geräumt. Die mehrheitlich aus Sudan, Eritrea und Somalia stammenden Bewohner des Zeltlagers „Le Millénaire“ (wie die Jahrtausendfeier) sind vorübergehend in mehrere Turnhallen oder Notunterkünfte in der Umgebung der Hauptstadt gebracht worden. Was später aus ihnen werden soll, kann oder will niemand sagen.
Seit Wochen und Monaten haben sich die Stadt Paris und das für die Migrationspolitik zuständige Innenministerium gegenseitig die Verantwortung zugeschoben. Obwohl es in Paris rund 100.000 leerstehende Wohnungen gibt, behaupten die Hauptstadtbehörden, dass sie nicht über die erforderlichen Unterbringungsmöglichkeiten verfügen, die polizeiliche Räumung aber ist nur legal, wenn die „Evakuierten“ anderswo ein Dach über dem Kopf erhalten.
Seit der angeordneten Schließung des Flüchtlingslagers von Sangatte bei Calais vor bald zwanzig Jahren ist jede derartige Räumungsaktion das Eingeständnis einer sträflichen Hilflosigkeit oder einer unterlassenen Hilfeleistung ist. Der Bedarf an menschenwürdigen Unterkünften für diese aus Katastrophen-, Krisen- und Kriegszonen Geflüchteten ist schon viel zu lange hinreichend bekannt.
Wenn sich dennoch seit Jahren das Szenario der Bildung „illegaler“ Camps mit anschließender Vertreibung wiederholt, dann muss da wohl eine Absicht dahinterstecken: Die Aufnahmebedingungen für AsylbewerberInnen sollen nicht zu „attraktiv“ werden. Daran hat sich nichts geändert, seit 1989 der damalige Premierminister Michel Rocard erklärte, Frankreich könne „nicht das ganze Elend der Welt“ bei sich aufnehmen. Ein fairer Anteil an humanitärer Solidarität dagegen müsste doch drin sein?
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen