Kommentar Flüchtlinge in Südeuropa: Italien setzt auf Merkel

Merkel fordert europäische Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen. Das macht sie zur Hoffnungsträgerin der Regierung in Rom.

Renzi und Merkel auf der Expo in Milano

Das neue Dreamteam? Italines Ministerpräsident Matteo Renzi und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Foto: ap

Geradezu hymnisch sind die Töne, in denen das Gros der italienischen Medien nunmehr seit Tagen über Angela Merkel und Deutschland überhaupt berichtet. Eben noch, vor ein paar Wochen bloß, war sie die hartleibige Spardiktatorin, die Griechenlands Regierung in die Knie zwang, kurzum: fast eine Wiedergängerin des Führers.

Nach ihrer Flüchtlingswende aber wird sie gefeiert, als wäre sie Mutter Teresa – und daran ändert auch ihre erneute Volte, die Grenzen zu kontrollieren, wenig. Denn klar bleibt, dass die Flüchtlinge nie wieder zu einem rein südeuropäischen Problem erklärt werden können,

Seit Jahren tragen Italien und Griechenland die Last, zu den Hauptankunftsländern geworden zu sein. Seit Jahren schon fordern Italiens Regierungen eine Europäisierung der Flüchtlingspolitik, beklagen sie immer wieder, das Land werde „von Europa alleingelassen“. Als markantes Beispiel hierfür stand die Rettungsmission „Mare Nostrum“, die Rom Ende 2013 – nach der Katastrophe von Lampedusa mit 368 Toten – aufgelegt hatte, ohne europäische Unterstützung zu erfahren.

Und doch war die Rede von einem alleingelassenen Italien nur die halbe Wahrheit. Ganz im Stillen waren die Dublin-Regelungen nämlich de facto schon letztes Jahr suspendiert.

Weiter nach Deitschland

Etwa 170.000 Flüchtlinge kamen 2014 übers Mittelmeer nach Italien, doch nur 65.000 von ihnen stellten dort dann einen Asylantrag. Von den 77.000 eingetroffenen Syrern und Eritreern suchten nicht einmal 1.000 Schutz in Italien.

Die anderen? Sie zogen weiter, über die Alpen nach Deutschland – das seinerseits 2014 170.000 Asylanträge verzeichnete – oder nach Schweden, weitgehend ungehindert von den italienischen oder auch den deutschen Behörden. Und durch grobe Töne Richtung Italien fiel hin und wieder bloß der eine oder andere CSU-Politiker auf.

Man könnte es auch so sagen: Was von Ende 2013 bis zum August 2015 lief, war die Generalprobe, in den Details eher unbemerkt von den Zuschauern. So verschwieg Italiens Regierung weitgehend die Tatsache, dass sie die Flüchtlingsaufnahme faktisch schon zur Angelegenheit auch anderer Länder gemacht hatte; Syrer trafen zwar dieses Jahr immer weniger ein, während die Zahlen in Griechenland in die Höhe schossen, doch etwa die weiter ankommenden Eritreer, die sich einer Identifizierung konsequent verweigern, können ungehindert nach München oder Malmö fahren.

Auf der anderen Seite tat Frau Merkel so, als sei Dublin weiter in Kraft – ohne dass jedoch Flüchtlinge und Migranten in den letzten Monaten wirklich über die Alpen zurückgeschickt worden wären.

Das Image in Deutschland zählt

Jetzt folgt die Inszenierung auf großer Bühne, vor großem Publikum. Laut unterstreicht Merkel die Solidarität mit den Flüchtlingen, die doch praktisch auch zur Solidarität mit den Südländern Europas, mit Italien oder Griechenland, wird. Da überrascht es nicht, dass mancher italienischer Kommentator gar spekuliert, Angela habe ihren Schwenk nicht zuletzt vollzogen, um ihre europäische Imagekatastrophe während der Griechenlandkrise auszubügeln.

An dieser Interpretation darf gezweifelt werden. Erneut – und genauso wie in der Griechenlandkrise – ist Merkels Fixstern die öffentliche Meinung in Deutschland, der Chor der Medien, das Drängen der Unternehmerverbände auf aktive Zuwanderungspolitik.

Rom oder Athen kann es jedoch egal sein, wo die wahren Motive der deutschen Regierung liegen. Was weit stärker zählt, ist das praktische Resultat, ist die Tatsache, dass Deutschland nun auf dem Feld der Flüchtlingspolitik das Prinzip Solidarität einfordert.

Merkel und Renzi

Und schon dies macht einen kräftigen Unterschied: Jene bisherige stille Solidarität, geübt „an den Regeln vorbei“, stand immer unter dem Vorbehalt, dass sie jederzeit wieder suspendiert werden konnte. Und sie war nicht geeignet, die Gewichte in Europa ernsthaft zu verschieben – die elend lange Diskussion auf den EU-Gipfeln vor der Sommerpause, über die Verteilung von gerade einmal 40.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien auf andere Länder, zeigte dies schlagend.

Deshalb herrscht in Italien jetzt das Gefühl vor, in Deutschland endlich den starken Alliierten für eine echte Europäisierung der Flüchtlingspolitik gefunden zu haben. Und Angela Merkel darf ihrerseits auf Italiens Premier Matteo Renzi als einen der wenigen zählen, der sie im Europäischen Rat nach Kräften unterstützen wird.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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