Kommentar Flüchtlinge in Schwerte: So geht Geschichtsklitterung
Flüchtlinge in früherer KZ-Außenstelle: Die Weigerung der Stadt Schwerte, die Entscheidung zu überdenken, ist borniert und geschichtsvergessen.
E ine Stadt zeigt sich uneinsichtig. Es ist schon abenteuerlich, wie resistent sich die politischen Verantwortlichen in Schwerte gegenüber der Kritik zeigen, dass eine ehemalige Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald kein angemessener Ort zur Unterbringung von Flüchtlingen ist. Die Not der Kommunen ist groß, Flüchtlinge vernünftig unterzubringen. Trotzdem nimmt es einen den Atem, dass an einem solchen Ort Flüchtlinge untergebracht werden sollen.
Es mag Unbedarftheit gewesen sein, die die Stadt zu dieser Entscheidung gebracht hat: Was könnte das für ein Problem darstellen, wo in dem anvisierten Gebäude doch schon ein Waldorfkindergarten, Künstler und andere Nutzer untergebracht waren?
Nachdem sie auf das Problem hingewiesen wurde, hätten die Stadtoberen zurückrudern und ihren Fehler korrigieren können. Aber stattdessen reiten sie Attacke gegen ihre Kritiker. Das ist erbärmlich. Und noch erbärmlicher ist es, dass – bis auf die Linkspartei – alle im Stadtrat vertretenen Fraktionen mitmachen, von der CDU über SPD und FDP bis zu den Grünen.
Die bornierte und ignorante Haltung, mit der die Stadt auf die Kritik von Flüchtlingsinitiativen, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und von jüdischen Gemeinden reagiert, ist mindestens so empörend wie die ursprüngliche Entscheidung – und der eigentliche Skandal in dieser Angelegenheit. Die politisch Verantwortlichen loben sich selbst, wo Selbstkritik angebracht wäre.
Bei seinem Auftritt am Freitag vor der Presse vermied Bürgermeister Heinrich Böckelühr geflissentlich, überhaupt von einer KZ-Außenstelle zu sprechen. Stattdessen wählte er lieber den Begriff „Eisenbahnausbesserungswerk“ – für das waren die Häftlinge tätig. So geht Geschichtsklitterung.
Trotzdem behaupten der Bürgermeister und die ihn unterstützenden Ratsparteien in ihrer gemeinsamen Erklärung, Schwerte habe wie kaum eine andere Stadt historische Aufklärung betrieben. Die Botschaft ist: Wir haben unsere Pflicht in Sachen Vergangenheitsaufarbeitung getan, und nun muss wirklich mal Schluss damit sein. Aber: Ein Tatort nationalsozialistischer Verbrechen bleibt ein Tatort – auch 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus. Und damit ist er kein geeigneter Ort zur Unterbringung von Flüchtlingen.
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