Kommentar Familiennachzug: Warum nur 1.000?
Der Familiennachzug für Geflüchtete ist wieder möglich, aber nur in wenigen Härtefällen. Die Auswahlkriterien der Behörden sind inhuman.
Warum überhaupt nur 1.000, nicht 500 oder 2.000“, fragt Christian Lindner. Damit meint der FDP-Chef den Familiennachzug, der nach zwei Jahren jetzt wieder möglich ist.
Ja, warum nur 1.000? Die Frage ist berechtigt. Aber nicht so, wie Lindner sie versteht. Der Liberale findet den Familiennachzug für Geflüchtete ohne dauerhaftes Bleiberecht nämlich „völlig unvernünftig“. Der Ansatz sollte eher lauten: Wer einen Anspruch darauf hat, seine Kernfamilie aus den Flüchtlingslagern in Griechenland, der Türkei, Syrien oder aus den verwüsteten Heimatländern zu sich nach Deutschland zu holen, sollte sie holen können. Alles andere ist inhuman.
Oder wie erklärt man einem Syrer, der vor dem Krieg floh, dass er seine Kinder, die „zu Hause“ geblieben sind und die er seit drei Jahren nur auf Fotos sieht, auch die nächste Zeit nicht umarmen kann? Weil sein Antrag auf Familienzusammenführung der 1015. ist? Wie sagt man einer minderjährigen Eritreerin, dass sie in Deutschland weiter allein ohne ihre Mutter leben muss? In dem afrikanischen Land müssen auch Frauen zur Armee, gewöhnlich mit 18 Jahren, in letzter Zeit aber immer häufiger auch, wenn sie jünger sind.
Die am Verfahren beteiligten deutschen Behörden versichern zwar, nach humanitären Kriterien zu entscheiden und Fälle, bei denen Kinder, Kranke und Pflegefälle involviert sind, vorrangig zu behandeln.
Was aber machen sie, wenn es mehr als 1.000 solcher Härtefälle gibt? Wie begründen sie deren Ablehnung? Und wie (um)erklären sie dann „dringende humanitäre Gründe“?
Fraglich ist ebenso die rein formelle Vorgabe, dass es keine Wartelisten gibt, kein Übertragen in den Folgemonat. Und das auch, wenn in einem Monat nur 500 Anträge befürwortet werden.
Da hat die Koalition lange und heftig gerungen um diesen Passus der Flüchtlingshilfe, mit vermeintlichem Abwägen nach allen Seiten. Herausgekommen ist ein „Kompromiss“, der besser klingt als er an Humanität in sich trägt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus