Kommentar Europawahl: Es kommt mal wieder auf Merkel an
Es wird nicht reichen, im Europaparlament ein Bündnis der Proeuropäer zu schmieden. Europa braucht eine Art neue Führung.
D as war knapp. Nur um Haaresbreite ist die EU an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Die Wahlbeteiligung lag einen Tick höher als vor fünf Jahren und die Rechten sind nicht überall durchmarschiert. Zwar haben sie in Großbritannien und vor allem in Frankreich ein politisches Erdbeben ausgelöst. Doch zumindest in den Niederlanden ist den Gegnern des vereinten Europas kein Durchbruch gelungen.
Nicht auszudenken, wenn der Rechtsruck auch noch das liberale Holland erschüttert hätte – und die allgemeine Wahlbeteiligung weiter in den Keller gerutscht wäre! Womöglich wäre die EU unregierbar geworden. So aber läuft alles auf eine große Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen in Brüssel hinaus, wie gehabt.
Doch der Dammbruch von rechts wurde nur mit ganz viel Glück vermieden. Die explosive Mischung aus Eurokrise, Sozialkrise und politischer Krise hat nur deshalb nicht gezündet, weil sich die Konjunktur leicht erholt hat – und das Wahlvolk durch die Ukraine-Krise abgelenkt wurde.
Deshalb kam die EU mit einem blauen Auge davon – ihre Probleme gelöst hat sie keineswegs. Die Spaltung zwischen Nord und Süd, Gebern und Bittstellern, starken und schwachen Staaten ist tiefer denn je. Zugleich hat sich der Druck auf die EU-Politik durch den Rechtsruck verstärkt. Die Gefahr ist groß, dass Abschottung und Renationalisierung nach dieser Wahl weiter zunehmen.
Es wird also nicht reichen, im Europaparlament ein Bündnis der Proeuropäer zu schmieden. Die EU braucht einen Politikwechsel – weg von der Austeritätspolitik hin zu einem sozialen Europa, das durch Investitionen für Wachstum und Beschäftigung sorgt. Dazu muss sich auch ein Jean-Claude Juncker bekennen, wenn er ein erfolgreicher Kommissionschef werden will.
Zudem braucht Europa eine neue Art der Führung. Die alten Modelle, in denen mal die EU-Kommission, mal der deutsch-französische Motor den Ton angaben, funktionieren nicht mehr. Frankreichs Präsident Hollande ist spätestens jetzt ein zahnloser Tiger und der britische Premier Cameron arbeitet immer offener gegen Europa an. Es wird also wieder mal auf Kanzlerin Merkel ankommen. Doch irgendwie hat es ja selbst sie erwischt – es wäre gut, sie würde nicht versuchen, den Erfolg der AfD einfach auszusitzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“