Kommentar Erdogans Telefonate: Seine Zeit ist vorüber
Erdogan versucht die jüngsten Korruptionsvorwürfe gegen sich als Intrige abzutun. Doch sein Gebaren verschleiert seine sehr realen Schwierigkeiten.
W as uns nicht umbringt, macht uns nur stärker. Nach diesem Motto versucht der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die jüngsten Korruptionsvorwürfe gegen ihn und seinen Sohn Bilal als Fortsetzung einer Schmutzkampagne abzutun. Ihn und seine Anhänger würde das umso enger miteinander verbinden. Keine Sekunde, sagte er gestern, könnten ihn solche Intrigen beeindrucken. Doch das Auftrumpfen des Ministerpräsidenten steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seinen realen Schwierigkeiten.
Seit Monaten wird er von einer islamischen Sekte vor sich hergetrieben, mit der er lange zusammengearbeitet, sich dann aber zerstritten hat. Seit der Gülen-Bewegung nahestehende Staatsanwälte Mitte Dezember eine Eiterblase an Korruption aufstachen, die sich in zehn Jahren Regierung unter Erdogan gebildet hatte, muss er immer wieder auf neue Vorwürfe reagieren.
Erdogans Antwort darauf sind bislang Entlassungen und Versetzungen im Polizei- und Justizapparat. Und neue Gesetze, durch die er die Kontrolle über die Justiz, die Medien und das Internet zurückgewinnen will. Doch damit führt er seine eigenen Behauptungen, er sei derjenige, der in der Türkei die Demokratie verteidige, täglich aufs Neue ad absurdum.
Noch weiß niemand, wie die Wahlen in diesem Jahr, insbesondere die Präsidentschaftswahlen im Sommer, ausgehen werden. Doch auch wenn Erdogan zum Präsidenten gewählt werden sollte, seine Zeit als starker Mann ist wohl vorbei. Auch wenn Alternativen zu ihm nicht wirklich in Sicht sind.
Alle Umfragen sprechen dagegen, dass die Opposition einen Regierungswechsel herbeiführen kann. Deshalb bleibt die spannendste Frage, wie sich die AK-Partei neu aufstellt, wenn Erdogan in ein relativ gesehen politisch weniger bedeutsames Präsidentenamt verschwunden ist.
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