piwik no script img

Kommentar Erdoğans MachtausbauGnadenlose Konsequenz

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Recep Tayyip Erdoğans Projekt der Alleinherrschaft steht kurz vor der Vollendung. Wer glaubt, ihn aufhalten zu können, macht sich etwas vor.

Normale Wahlen dürften in der Türkei der Vergangenheit angehören Foto: ap

D er türkische Autokrat Recep Tayyip Erdoğan hat Sonntag ein Ziel erreicht, auf das er Jahre hingearbeitet hat. Mit der Rückkehr an die Spitze der Regierungspartei AKP, die im Parlament eine absolute Mehrheit hat, übernimmt er die Kontrolle über die Legislative.

Durch die Zustimmung zum Präsidialsystem vor einem Monat wird er ab 2019 ein Präsident mit allen exekutiven Befugnissen sein. Das Projekt Alleinherrschaft steht für Erdoğan damit kurz vor der Vollendung.

Die Transformation der Türkei von einer fragilen Demokratie zu einer islamischen Führerherrschaft ist nun nur noch schwer zu stoppen. Viele säkulare Intellektuelle, die von dieser Entwicklung existentiell betroffen sind, wollen das noch nicht wahrhaben. Sie hoffen darauf, dass Erdoğan die jahrelangen Auseinandersetzungen nicht mehr lange durchhält, sich aufgrund ökonomischer Schwierigkeiten von seiner Basis entfremdet und/oder die Unterstützung seiner Partei verliert.

Noch leistet ein Teil der Gesellschaft tapfer Widerstand. Doch in absehbarer Zukunft wird kaum noch die Chance bestehen, das Ergebnis der Volksabstimmung vom 16. April zu korrigieren.

Egal, ob der knappe Sieg des Präsidialsystems mit unlauteren Mitteln erzielt wurde oder nicht: Erdoğan treibt die Umwandlung des Landes mit gnadenloser Konsequenz voran. Und er hält den Erregungspegel bei seinen Anhängern weiterhin hoch – mit der Gülen-Bewegung als innerem und den syrischen Kurden als äußerem Feindbild. Der Ausnahmezustand bleibt, sodass das Land nicht zur Besinnung kommt. Normale Wahlen dürften der Vergangenheit angehören.

Die Europäische Union muss sich deshalb gut überlegen, ob und wie sie mit der Türkei noch zusammenarbeiten will. Eine reine Handelskooperation würde nur Erdoğan nutzen und wäre deshalb fatal. Doch die Kontakte ganz abzubrechen, würde auch den Demokraten in der Türkei schaden. Es kommt deshalb darauf an die Zivilgesellschaft zu schützen, ohne den Autokraten zu stützen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Schuld kennt kein Vergessen!

     

    Mit ihrer politisch falschen Entscheidung hat sich auch die deutsch-türkische wahlbeteiligte Mehrheit für die Todesstrafe in der Türkei ausgesprochen. Daran sollten wir stets auch denken! Sie leben in der Bundesrepublik in sozial gesicherten Verhältnissen und entscheiden sich für die Hinrichtung ihrer (vormaligen) türkischen Landsleute.

    • @Reinhold Schramm:

      Was glauben Sie, wieviele türkische Mitbürger hier sich mit Bitterkeit daran erinnern und sich vermutlich noch einige Zeit mit dem Gedanken trösten müssen, dass, wenn Erdogan auf dem Gipfel seiner Machtfülle steht und um sich schaut, er erkennen wird, dass es von nun an nur noch bergab gehen kann?

       

      Größte bange Hoffnung: die Spitze möge sich nicht auch noch als Plateau erweisen. Doch darüber wird der Wähler entscheiden, wenn er es denn nicht auch noch zu verhindern weiss.