Kommentar Erdoğan in Sarajevo: An Ausstrahlung verloren

Lange galt Präsident Erdoğan auch auf dem Balkan als Hoffnungsträger. Das ist wegen seiner repressiven Politik in der Türkei nun vorbei.

Eine Frau schwenkt Türkei-Flaggen in einer Menschenmenge

Zum Jubeln einbestellt: Großkundgebung am Pfingstsonntag in Sarajevo mit Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan Foto: dpa

Natürlich gibt es ein türkisches oder, besser gesagt: osmanisches Erbe auf dem Balkan. Das macht ja die Region in Europa zu etwas Besonderem. Nur Südspanien und Sizilien teilen die Erfahrung, jahrhundertelang von den muslimischen Herren beherrscht worden zu sein. Die immer noch feststellbare Rückständigkeit des Balkans gegenüber Westeuropa hängt mit dieser Geschichte zusammen. Ist der Sprung in die Moderne wirklich schon gelungen?

Der Balkan unter Einschluss Ser­biens schaut nicht nur nach Westeuropa, sondern auch auf die Türkei. Die rasend schnelle Modernisierung der Türkei hat vor allem bei Muslimen auf dem Balkan Spuren hinterlassen. Sie ist in den letzten Jahrzehnten auch mit dem Namen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verbunden.

Das machte die Türkei in Europa, vor allem jedoch in den „ehemaligen Kolonien“ und bei den balkanischen Muslimen attraktiv und bei ihren Führern populär. Auf dem Höhepunkt seines Ansehens vor fünf Jahren erschien die Vision Erdoğans, eine Art osmanisches Commonwealth zu gründen, das von der Kaukasusregion bis nach Ägypten und dem Balkan reicht, gar nicht mal so unrealistisch.

Doch diese Stimmung ist weitgehend gekippt. Das hängt nicht nur mit dem Sturz des Mursi-Regimes in Ägypten zusammen, sondern mit Erdoğan selbst. Die Ausformung einer auf ihn zugeschnitten Präsidialdiktatur und die Propagierung einer ethnisch-religiösen Bewegung, die sich auf den türkischen Nationalismus und einer konservative Auslegung des Islam stützt, hat nichts mit der Toleranz, der Akzeptanz vieler Kulturen und Religionen im Osmanischen Reich zu tun.

Der türkische Präsident hat auch auf dem Balkan an Ausstrahlung verloren, seit er in seinem Land die Kurden unterdrückt, die demokratischen Rechte in der Gesellschaft abbaut und gewaltsam konservative Werte in der Gesellschaft durchsetzen will. Obwohl er willfährige Gehilfen wie den bos­nischen Politiker Bakir Izetbegovićhat, ist Erdoğans Ansehen auch auf dem Balkan im Schwinden.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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