Kommentar Entlassung Sarrazins: Abschied eines Demagogen
Indem die Bundesbank Sarrazin rauswirft, gewährt sie ihm genau jene Bedeutung, die sie ihm eigentlich nehmen will. Dennoch gab eine keine bessere Lösung.
D eutschland hat einen neuen Märtyrer: Thilo Sarrazin. Schon bisher posierte er als die verfolgte Unschuld, die nur ausspricht, was die Funktionäre nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Jetzt hat der Vorstand der Bundesbank einstimmig beschlossen, beim Bundespräsidenten zu beantragen, Sarrazin abzuberufen. Damit hat er nun schriftlich, dass er ein Opfer ist: In einem freien Land wird ihm die freie Meinungsäußerung verwehrt. Daraus lassen sich wunderbare Verschwörungstheorien basteln, die Publikum und Leser anlocken.
Die Bundesbank steckte in einem Dilemma: Indem sie Sarrazin entlässt, gewährt sie ihm genau jene Bedeutung, die sie ihm eigentlich nehmen will. Trotzdem deuteten alle offiziellen Äußerungen darauf hin, dass Sarrazin seinen Posten verlieren würde. Von Kanzlerin Merkel war schon lange bekannt, dass sie Sarrazin für ein Imageproblem hält - nicht nur für die Bundesbank, sondern auch für Deutschland. Ähnliches haben Finanzminister Schäuble und Bundespräsident Wulff bekundet. Wäre Sarrazin jetzt nicht entfernt worden, dann hätten nicht nur seine Vorstandskollegen in der Bundesbank verloren. Auch Merkel und Wulff wären beschädigt worden. Also musste Sarrazin gehen.
Dies ist keine gute Lösung, aber eine bessere gab es nicht. Denn Sarrazins Vertrag bei der Bundesbank läuft noch bis 2014 - sein Privileg der Unantastbarkeit hätte er genutzt, um die Muslime stets aufs Neue zu diffamieren. Wie die meisten Demagogen kennt Sarrazin keine Grenze, sondern setzt auf das Prinzip der Eskalation. Die Bundesbank musste also riskieren, dass sie in den arbeitsrechtlichen Prozessen unterliegt, die Sarrazin zweifellos anstrengen wird. Immerhin hat sie ein Zeichen gesetzt, dass institutionelle Unabhängigkeit nicht bedeuten kann, einen hochbezahlten Bankvorstand rassistische Theorien verbreiten zu lassen.
Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.
Eigentlich ist Sarrazin nur ein disziplinarrechtliches Problem der Bundesbank. Zum Politikum wird er nicht durch seine Person - sondern durch seine Resonanz. Etwa die Hälfte der Bürger teilt seine Thesen. Für einen charismatischen Rechtspopulisten, das ist die Lehre, würden sich auch in Deutschland viele Wähler finden. Sarrazin selbst wird keine rechtspopulistische Partei mehr gründen. Dafür ist er zu alt, auch zu sehr Technokrat. Aber er hat deutlich gemacht, wie weit der Raum rechts der CDU offen steht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht