piwik no script img

Kommentar Einheitsfeier in DresdenMach es, Gauck!

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Eine Absage wäre der größtmögliche Erfolg für die Täter. Unbeteiligte könnten sich verurteilt und Linke alleingelassen fühlen.

Alles gut mit Betonblöcken gesichtert. Dann kann die Feierei ja losgehen! Foto: dpa

E s ist verständlich, wenn jemand keine Lust hat, derzeit nach Dresden zu fahren. Nach all den rechtsradikalen Pegida-Aufmärschen, rechtslastigen CDU-Aussetzern und widerlichen Attacken auf Geflüchtete in Sachsen kann einem das Feiern dort vergehen, ja, man kann auch Angst bekommen. Und doch wäre es fatal, ausgerechnet jetzt die offizielle Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden abzusagen.

Eine solch drastische Maßnahme direkt nach Anschlägen auf eine Moschee und ein Kongresszentrum wäre der größtmögliche Erfolg für die Täter. Und alle potenziellen Nachahmer könnten daraus lernen, wie man mit geringem Aufwand eine riesige politische Wirkung erzielt.

Was machen wir erst, wenn Bomben vor dem Bundestag gezündet werden? Die nächste Sitzung absagen? Oder gleich die Wahl des Bundespräsidenten?

Auch abgesehen von den aktuellen Anschlägen wäre es die falsche Reaktion auf die rechten Umtriebe, jetzt die Einheitsfeier zu streichen. „Einfach nicht mehr hinfahren“ ist immer das Leichteste. Aber was soll dadurch besser werden? Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Boykott die Rechten zum Umdenken bewegt, ist gering. Umso größer ist die Gefahr, dass sich Unbeteiligte mit verurteilt und Linke alleingelassen fühlen.

Die Feier ist keine perverse Belohnung für die Pegida- Bewegung

Die Feier ist ja keine speziell ausgedachte, perverse Belohnung für die Hauptstadt der Pegida-Bewegung, die man natürlich rückgängig machen müsste. Dresden ist zufällig turnusmäßig dran. Das Fest abzusagen, wäre eine Kollektivstrafe. Wollen wir das wirklich? Wollen wir künftig alle Städte, Landkreise, Bundesländer boykottieren und ihnen die üblichen Rechte entziehen, wenn dort die Rechten . . . ja, was eigentlich? Wenn sie zwei Anschläge begangen haben oder zehn? Wenn 20 Prozent AfD gewählt haben oder 35?

So kommen wir nicht weiter. Wenn Linke und Liberale unter sich bleiben, wird kein Rassist überzeugt. Gegen die Angriffe der Autoritären helfen keine Willkürmaßnahmen, die selbst undemokratisch sind. Sondern nur eine klar artikulierte Haltung. Und der Mut, den Menschenfeinden vor Ort entgegenzutreten.

Wann und wo könnte man besser damit anfangen als am 3. Oktober mit einer humanistischen Rede dort, wo es am wichtigsten ist: in Dresden. Mach es, Gauck!

Oder doch absagen? Lesen Sie mehr dazu im Kommentar von Anja Maier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Schafft den Feiertag ab und schafft die Nation ab. Das ganze ist doch ein lächerlicher Mummenschanz.

  • Als ob Linke sich aus Nationalfeiertagen und dergleichen Patriotenkitsch was machten...

  • Überschattet von der Geflüchtetenthematik und rechtsradikalen Umtrieben sollte nicht vergessen werden, dass über 29 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung die Löhne, Gehälter und Renten im Osten immer noch niedriger sind, dass es mangels echter Perspektiven nach wie vor eine gewaltige Landflucht insbesondere junger Menschen gen Westen gibt, obwohl der Westen unseres Landes auch schon längst nicht mehr leuchtet.

     

    Statt Feiern mit salbungsvollen Reden und Schönlügen der Ist-Situation stünde eine radikale Gesellschaftsreform an: Nicht ein paar verblendete Rassisten und unbelehrbare Nazis sind schuld am Desaster, sondern 25 Jahre neoliberale Transformation, seit 15 Jahren durch die Agendapolitik verschärft.

     

    Wer 1989/90 Freiheit wollte, lässt sich jetzt nicht mit Hartz-IV abspeisen!

  • Da klang der Kommentar hier: http://taz.de/Kommentar-Einheitsfeier-in-Dresden/!5344574/

    aber noch ganz anders.

    Wie gut das Eure Leser einigermaßen reflektiert sind ;)

    • @FriedrichH:

      Wo ist ihre Lesekompetenz?

       

      Das sind zwei Debattenbeiträge, sie stehen nebeneinander.

      Nicht eine folgt auf die andere!

       

      Die Leute haben immer weniger Ahnung von Zeitung...

       

      rolleyes

      • @planb:

        Sie meinen sicher "Leserkompetenz". Lesen kann ich einigermaßen. rolleyes

    • @FriedrichH:

      Der Mensch ist halt der Mensch. Nur in seinem ganz speziellen Fall können Vernunft und Gefühl dermaßen in Konflikt geraten. Alle anderen Lebewesen sind dafür einfach zu unreflektiert. :-)

       

      Schön, dass die taz das Menschliche am Menschen so klar abbildet. Mein Bauch, zum Beispiel, gibt Frau Maier recht, mein Kopf hingegen Lukas Wallraff: Selbst dann noch, wenn 95% aller Dresdner die AfD wählen würden, müssten alle, die was auf sich halten, in Dresden Flagge zeigen. Gerade dann.

       

      Für mich ist es die Sprache, für andere ist es das Elbsandsteingebirge, für wieder andere die halbwegs funktionierende Organisation oder Randale in Berlin am ersten Mai ohne Kopfschuss und für einen Vierten vielleicht sogar Mallorca oder Bananen. Es ist beinah egal, was wir am 3. Oktober feiern. Wichtig ist im Augenblick, dass wir es gemeinsam tun.

       

      Es ist doch so: Alles, was es in diesem Land zu feiern gibt, sollte Deutschland ausmachen. So lange wir noch imstande sind, den jeweils anders Denkenden wenigstens einmal im Jahr fröhlich sein zu lassen an unserer Seite, ist das ne Einheitsfeier wert. Nur dann nämlich wird er die Woche darauf auch (wieder) mit uns diskutieren. Und was passiert, wenn wir es nicht mehr schaffen, miteinander auszukommen, wissen wir alle, wenn wir ehrlich sind.

       

      Abgesehen davon sind die Rechten eher zu bedauern als zu fürchten. Sie haben keinen Grund zum Mitfeiern. Sie setzen ausschließlich auf Angst, Drohungen und Gewalt. Wer außer ihnen feiert so was schon?