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Kommentar EU und TürkeiMilde Mahnungen

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die EU-Kommission lässt Erdoğan gewähren und mahnt nur sehr milde. Sie will sich alle Optionen offenhalten. Aus Rücksicht auf Angela Merkel?

Erdoğan ganz entspannt Foto: ap

E s soll die dickste aller roten Linien sein: Wenn Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Todesstrafe wieder einführt, dann sei Schluss mit lustig! Dann werde die Europäische Union die Beitrittsgespräche mit der Türkei automatisch abbrechen, heißt es in Brüssel. Demokratie und Menschenrechte seien nicht verhandelbar.

Doch wirklich ernst scheint es die EU mit dieser Warnung nicht zu meinen. Denn schon bei der Demokratie nimmt man es nicht so genau: Obwohl die Wahlbeobachter von OSZE und Europarat bemängeln, dass beim Referendum am Sonntag internationale Standards verletzt worden seien, zweifelt Brüssel den hauchdünnen Wahlsieg nicht an.

Man lässt Erdoğan gewähren – und beschränkt sich auf die milde Mahnung, „transparente Untersuchungen“ einzuleiten. Dabei hat der zum Alleinherrscher mutierte Präsident schon klar gemacht, was er von derlei Appellen hält: nichts. Er werde die Analysen der Wahlbeobachter nicht einmal lesen, höhnte Erdoğan.

Ziemlich mau ist auch die europäische Haltung zur Todesstrafe. Denn es bleibt offen, wann man denn endlich einschreiten will: Wird Brüssel reagieren, wenn das Parlament – wie von Erdoğan gefordert – Beratungen darüber aufnimmt? Oder erst bei Verabschiedung eines Gesetzes? Vielleicht noch später – bei der ersten Hinrichtung?

Wann wird Brüssel denn endlich reagieren – bei der ersten Hinrichtung?

Die EU-Kommission legt sich nicht fest. Sie will sich alle Optionen offen halten – und stellt die vermeintlich klare rote Linie damit selbst in Frage. Doch warum wagt es Jean-Claude Juncker, der Präsident der angeblich so „politischen“ Kommission, eigentlich nicht, klare Kante zu zeigen? Warum haut er nicht endlich auf den Tisch?

In Brüssel glauben viele, dass er Rücksicht auf Kanzlerin Angela Merkel nimmt. Denn Merkel kann nicht noch mehr Ärger mit Erdoğan gebrauchen, schon gar nicht im beginnenden Wahlkampf. Deshalb ist die rote Linie so dünn geworden, dass sie niemanden mehr schreckt.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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3 Kommentare

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  • 6G
    64938 (Profil gelöscht)

    Die zurückhaltende Politik der Bundesregierung war nicht mehr oder weniger erfolgreich als zB die Haltung Österreichs.

    Erdogan läßt sich kaum unter Druck setzen, höchstens wirtschaftliche Konsequenzen werden ihn möglicherweise beeindrucken.

    Hier könnte Merkel zB mit einem Verbot der deutsch-türkischen Panzerfabrik einen empfindlichen Punkt treffen.

    Ansonsten teile ich die Auffassung, das Ruhe hier die bessere Wahl ist.

  • Es ist der EU eben herzlich egal, was aus der Türkei wird. Und die wird nicht gleich bleiben. Sie wird so wie die islamischen Städte im Osten, so wie Elazig, Bingöl, Erzurum oder Malatya - vielleicht nicht so wie im Iran, aber liberale, linke oder frauenrechtliche Aspekte werden stark unterdrückt werden. Langfristig wird die Türkei eben den Weg des nahen Ostens gehen und den Verhältnissen in Ägypten, Tunesien oder Syrien ähneln.

  • Auch die deutsche Parlamentsmehrheit und Bundesregierung wartet ab, - und auf die Ergebnisse der weiteren Faschisierung der türkischen Staatsführung und Gesellschaftsordnung? (!)

     

    »Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen, Abzug deutscher Soldaten aus Incirlik, Stopp aller Waffenlieferungen: Was ist nach Erdogans Sieg beim Verfassungsreferendum zu tun? Bundesregierung und EU-Kommission warten ab. {...}.«

     

    Das "China Internet Information Center" (CIIC) in Beijing [Chinas Hauptstadt] berichtet, unter dem Titel: "Merkel will Gesprächsfaden mit Türkei wieder aufnehmen", wie folgt:

     

    »Die Bundesregierung will den Dialog mit Ankara nun so schnell wie möglich wieder aufnehmen. In einer ersten Reaktion forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel die türkische Regierung dazu auf, der Spaltung der türkischen Gesellschaft entgegenzuwirken. "Die Bundesregierung erwartet, dass die türkische Regierung nun nach einem harten Referendumswahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht."

     

    Zu den EU-Beitrittsverhandlungen äußerten sich Merkel und Gabriel nicht. Auch die EU-Kommission schwieg dazu. Die Verfassungsänderungen "und insbesondere ihre praktische Umsetzung" sollten im Lichte der Verpflichtungen der Türkei als EU-Beitrittskandidat und als Mitglied des Europarats begutachtet werden, erklärten die EU-Außenbeauftragte {...}.«

     

    Vgl. Quelle: German.china.org.cn am 18.04.2017:

    Merkel will Gesprächsfaden mit Türkei wieder aufnehmen. http://german.china.org.cn/txt/2017-04/18/content_40641609.htm