Kommentar EU und Türkei: Merci beaucoup für die Werbung!
Die Repression und der Abbau demokratischer Rechte in der Türkei müssen in der EU scharf verurteilt werden. Gemeinsam und unisono.
M it seiner völlig maßlosen Reaktion auf das holländische Einreiseverbot für seinen Außenminister hat der türkische Staatschef Erdogan rückwirkend eine politische Rechtfertigung für den Entscheid der Niederlande geliefert. Wer so billig alle anderen öffentlich der Nähe zu Nazis verdächtigt, macht sich selber verdächtig.
Einmal davon abgesehen, dass es stupide ist, auf jede als verletzend empfundene Maßnahme gleich zur ideologischen Abschreckungswaffe zu greifen. Das ist eine Illustration für das leider nur allzu bekannte und strapazierte Godwin's Gesetz, wonach jede Polemik früher oder später mit der Reductio ad Hitlerum endet. Bei Erdogan fängt sie damit gleich an.
An diesem Wochenende haben mehrere EU-Staaten mit ihrem unterschiedlichen Verhalten jedoch vorgeführt, wie fern die Gemeinschaft von einer politischen Integration oder auch nur einer simplen Koordination noch ist.
Was den einen Recht ist, schafft bei anderen höchste Verärgerung: Die Niederlande erklären den Minister Mevlüt Cavusoglu als Wahlpropagandist zum Unruhestifter und zur Persona non grata, Frankreich lässt ihn unbehelligt in Metz vor ein paar tausend AKP-Anhängern auftreten, wo dieser eigentlich der niederländischen Staatsführung nur noch „Merci beaucoup“ für diese unfreiwillige Werbung sagen und in Sachen Nazi-Beschimpfung noch eine Kelle drauflegen konnte.
Auch Marine Le Pen müsste sich bedanken, denn sie weiß nur zu gut, wie die TV-Bilder aufgebrachter demonstrierender Türken in Rotterdam und Ankara oder auch der verschleierten Erdogan-Sympathisantinnen in Metz die Fremdenfeinde in ihren Ressentiments gegen Muslime bestärken dürften.
Uns mag und muss es befremden, dass eine Partei wie die AKP, die so ungeniert einem Diktator in den Sattel helfen will, selbst im Exil einen solchen Massenzulauf hat. Verbieten lässt sich das nicht. Ebenso wenig aber rechtfertigt dies aber einen Vogel-Strauss-Politik. Die Eskalation der Repression und der Abbau demokratischer Rechte für die Opposition in der Türkei muss scharf verurteilt werden. Gemeinsam und unisono. Einreiseverbote sind kaum das beste Argument.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis