Kommentar EU und Flüchtlinge: Solidarität auf Sparflamme
Bis vor kurzem war Deutschland in der Flüchtlingsfrage der Champion der „guten“ Europäer. Jetzt droht es eine fatale Kettenreaktion in Gang zu setzen.
H ier die Guten, da die Bösen. Dieses einfache Schwarz-Weiß-Denken greift in der Flüchtlingskrise immer weiter um sich. Am Montagabend hat es auch die EU erwischt. Beim Treffen der Innenminister in Brüssel standen die „guten Europäer“, die eine solidarische Lastenteilung fordern, den „Bösen“ gegenüber, die Hilfe verweigern und Grenzen abriegeln – wie derzeit in Ungarn.
Doch so einfach ist es nicht. Denn zum einen haben die „Guten“ viel zu lange gezögert, bis sie aktiv geworden sind. Jahrelang wurden Italien und Griechenland, aber auch Spanien und Malta mit den Bootsflüchtlingen allein gelassen. Die erste Quote von 40.000 Migranten, die am Montag verbindlich beschlossen wurde, war viel zu niedrig. Deshalb kommen nun noch einmal 120.000 hinzu.
Zum anderen sind diejenigen, die jetzt Druck auf die „Bösen“ machen, selbst Teil des Problems. Dies gilt vor allem für Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Noch vor kurzem gab er sich als Hardliner, der nicht einmal Seenotrettung im Mittelmeer unterstützen wollte. Dann machte er die Grenzen auf – und genauso schnell wieder zu. Dies führte beim Krisentreffen in Brüssel zu Ärger.
Denn ausgerechnet Deutschland, der neue Champion der „Guten“, könnte eine fatale Kettenreaktion in Gang bringen. Seit die Grenze zu Österreich dicht ist, folgen immer mehr EU-Länder dem deutschen Beispiel und führen ihrerseits Grenzkontrollen ein. Wenn das so weiter geht, ist das Schengen-Abkommen zur grenzenlosen Reisefreiheit bald Makulatur. Und Berlin wäre daran mit Schuld.
Überwachung und Flüchtlingslager
Dass dem Chaos in der Flüchtlingspolitik nicht mit einem Schwarz-Weiß-Denken beizukommen ist, zeigen auch die Beschlüsse, über die derzeit nicht so gern geredet wird. Die EU will schon im Oktober mit dem Zerstören von Schlepperbooten beginnen. Sie will die Überwachung der Außengrenzen verschärfen und neue Flüchtlingslager bauen – möglichst vor den Toren Europas, in Nahost oder Afrika.
Diese Pläne unterstützen auch die „Guten“, allen voran Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der Luxemburger wollte sogar die Türkei zum „sicheren Herkunftsland“ erklären. Letztlich geht es Juncker, de Maizière und Co. darum, die Festung Europa weiter auszubauen. Auf die ebenso simple wie dringende Idee, sichere und legale Fluchtkorridore zu schaffen, kommen sie nicht.
In Wahrheit bleiben auch die „Guten“ weit hinter dem zurück, was das UNHCR, Pro Asyl und viele andere Experten fordern. Am Ende könnten sie sich mit den „Bösen“ auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, mit neuen Mauern und weiteren Militäreinsätzen, aber Solidarität auf Sparflamme. Den Flüchtlingen wäre damit nicht geholfen. Der europäischen Idee übrigens auch nicht.
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