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Kommentar EU-VisapolitikBrutaler Deal

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die EU will Türken leichter einreisen lassen. Die Türkei kümmert sich dafür um die Flüchtlinge. Europa sollte sich für diese Abmachung schämen.

Außenminister Davutoglu und EU-Kommissarin Malmström bei der Unterzeichnung des Rücknahmeabkommens am Montag. Bild: dpa

E s gibt nichts Deprimierenderes als die Flüchtlingspolitik der EU. Da kann der Papst nach Lampedusa fahren, die ertrunkenen Flüchtlinge beklagen, anschließend zum Mann des Jahres gewählt werden, doch an der Situation der Flüchtlinge ändert sich nichts.

Statt endlich legale Einreisemöglichkeiten für Menschen aus Afrika oder Asien zu schaffen, wird die „Abwehr“ von Flüchtlingen immer weiter weg von den europäischen Grenzen organisiert, sodass ein „illegaler Grenzübertritt“ möglichst gar nicht mehr vorkommt. In dieser virtuellen, der eigentlichen EU-Grenze weit vorgelagerten Grenzmauer hat die EU gestern ein bis dahin großes Loch geschlossen.

Für das Versprechen, türkischen Bürgern zukünftig die Einreise nach Europa zu erleichtern, hat die Regierung in Ankara sich jetzt verpflichtet, Flüchtlinge, die über ihr Staatsgebiet die EU – sprich Griechenland oder Bulgarien – erreicht haben, wieder zurückzunehmen. Damit es dazu möglichst gar nicht erst kommt, beginnt die Türkei jetzt schon die Grenzen im Osten, nach Georgien, zum Iran und Irak strenger zu kontrollieren, um quasi im Auftrag der EU Flüchtlinge dort abzufangen.

Ein Ausnahme machte die Türkei bei syrischen Flüchtlingen und ließ sie aus humanitären Gründen fast unbegrenzt ins Land. Im Auftrag der EU werden diese nun von der türkischen Polizei vor der griechischen Grenze abgefangen.

Deutschland will offiziell weitere 5.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen und ist auch noch stolz darauf. In der Türkei leben schon fast eine Million Menschen aus dem zerstörten Land, von denen die Mutigsten verzweifelt versuchen, über Griechenland nach Zentraleuropa zu kommen. Die EU-Politiker sollten vor Scham im Boden versinken, dass sie die Türkei jetzt zwingen, das zu verhindern.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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16 Kommentare

 / 
  • C
    Charlotte

    Was die Flüchtlingspolitik der EU angeht, so haben wir demnächst Europaparlamentswahlen. Und wenn wir zu unseren europäischen Nachbarn schauen, ist es leider so, dass dort die rechtsradikalen Parteien teilweise jetzt schon eine Mehrheit haben - Tendenz steigend. Und diese Parteien wollen keine weiteren Ausländer im Land haben. Daraus, lieber Herr Gottschlich, ergibt sich vermutlich die von Ihnen so scharf kritisierte Flüchtlingspolitik der EU.

  • Was mich am meisten stört ist die heuchlerische und scheinheilige EU-Menschenrechtsrhetorik. Warum sind die nicht einfach mal ehrlich und sagen den (potentiellen) Flüchtlingen:

     

    Wir wollen euch nicht.

     

    Wir werden euch daran hindern, zu uns zu kommen.

     

    Und wenn ihr es trotzdem schafft, dann werfen wir euch wieder raus.

     

    Das wäre eine ehrliche Ansage und jede® könnte sich darauf einstellen.

  • A
    aaaaa

    Libyen als "Flüchtlingsfilter" ist halt ausgefallen. Aber die Wohlstandsburg Europa muss gesichert bleiben. Wen kann denn das überraschen?

     

    2 Mill. Flüchtlinge in D und das Land explodiert. Jede Wette.

    • @aaaaa:

      Jede Wette, dass nicht?

  • KH
    karl heinz

    die EU politike sollten sowieso schon vor Schande im Boden versinken, dass sie EU politiker sind. es ist kein wunder, dass dieser undemokratisch strukturierte, von lobbyisten gesteuerte und okkulten symbolen beherrschte laden keine gute flüchtlingspolitik macht, sollte keine überaschung sein für journalisten, die sich mehr als ein paar jahre damit auseinander setzen. beschämend ist eher, dass die menschen von der presse nicht ausreichend von der presse unterrichtet werden, aber sich trotzdem von ihr scheuchen lassen soll.

  • G
    Gastname

    Europa sollte sich für diese Abmachung tatsächlich schämen.

     

    Die Türkei pflegt den Traum von neuen Osmanischen Großreich, lässt sich aber dafür bezahlen die Syrien wieder aufzunehmen.

     

    Das Europa der real existierenden EU aber belohnt dieses Verhalten noch, indem es den Türlen Sonderrechte einräumt statt Ankara endlich zu erklären, das die Türkei zu über 95 Prozent in Asien liegt und natürlich nicht in Europa.

     

    Dabei zahlt Deutschland schon Unsummen an die Türkei, etwa im Zuge der Krankenversichung für Türken welche lediglich Verwandschaft in Deutschland haben.

    • @Gastname:

      Ein guter Teil der Türkei liegt in Deutschland, und das ist auch gut so. Ein guter Teil Deutschlands liegt übrigens auch in Spanien, in Italien, in Österreich und sonstwo. Naja, man sagt ja, Reisen bildet.

  • H
    HEROS

    Nur 5.000 syrische Flüchtlinge in Deutschland! Aber auch nur solche, die viel Geld dabei hatten und/oder deren Verwandte schon legal in Deutschland leben!

    1.000.000 syrische Flüchtlinge in der Türkei! Kostet die Türkei pro Monat mindestens 50 Mio. Dollar.

    Deutschland spendete der Türkei für diese syrischen Flüchtlinge bisher nur einmalig 5 Mio. €.

    Ist DE so arm, oder nur so heuchlerisch?

    • G
      gast
      @HEROS:

      Das hat nichts mit Heuchelei zu tun, das ist eine reine Rechenaufgabe. Denkt mal jemand weiter was uns zusätzlich 1 Mill. Flüchtlinge allein aus Syrien kosten würde.

       

      Sind wir hier in der Lage dies zu leisten ? Denkt man auch mal an unsere Bürger bei denen immer mehr gekürzt wird, die nicht mehr wissen wie sie überleben sollen ????

       

      Warum hilft man den Menschen in Syrien nicht vor Ort ????? Das wäre sicher für Deutschland auch günstiger.

    • S
      Socke
      @HEROS:

      Viele Türken profitieren von den Flüchtlingen, auch das duldet Ankara. Da werden Wohnungen zu horrenden Preisen an x-Familien vermietet die alles geben müssen, Frauen müssen sich prostituieren usw - um das geld aufzubringen. Nahrungsmittel werden nicht ausgegeben sondern verkauft usw usw.

  • MA
    Mitmenschlichkeit - au weia!

    betreffs der EU- bzw. der deutschen FLÜCHTLINGSPOLITIK:

    Barbaren von alters her.... (Heinrich Heine)

    Rechthaberisch, inhuman und selbstgerecht .... (die Schreiberin)

    • S
      shan
      @Mitmenschlichkeit - au weia!:

      Sie vermengen Flüchtlings- und Migrationspolitik. Es gibt, zumindest rechtlich, eine unterschied zwischen Asyl und Wirtschaftsmigration.

  • K
    Katholisch

    Das ist aber interessant! Die TAZ beruft sich auf Argumente des Oberhauptes der katholischen Kirche ...

    Wie kommt es bloß, dass ich diese Berufung ebenso für falsch halte wie die Flüchtlingspolitik in Europa? Ob der Autor wohl eine Antwort bereit hat?

  • FR
    Franz-Dieter Rosenberg

    Europa verstößt gegen die eigenen Kriterien, sei es in der Flüchtlingspolitik, Asylpolitik oder sonstige außenpolitische, wie z.B. die Situation in Bahrain. Dort demonstrieren seit über 1.000 Tag Menschen mit friedlichen Mitteln für genau die Kriterien, für Europa eigentlich steht. Was passiert hier: Genau: NICHTS.

    Es macht den Eindruck, als wenn Europa sich selbst betrügt.

     

    Europa scheint aus der Vereinbarung mit dem Diktator Gaddafi in Libyen nichts gelernt zu haben. Der möchtegern-Demokrat Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, wird bald die Erfahrung von Gaddafi machen. Die EU ebenso.

    • G
      Gast
      @Franz-Dieter Rosenberg:

      Obwohl sie wahrscheinlich meine eigene Ein- und Ausreise erleichtern würde, muss ich gegen diese Abmachung protestieren. EU sollte die türkische Demonstranten in der Türkei helfen die gegen das Regime kämpfen und für Demokratie und Freiheit bluten anstatt zu versuchen der Welt den Rücken zu drehen.

    • GW
      Gezi wird nie vergessen werden
      @Franz-Dieter Rosenberg:

      Korrektur:: statt möchtegern - Demokrat sollte möchtegern - Diktator heißen