Kommentar EU-Flüchtlingsverteilung: Fehlende Solidarität

Innenminister Thomas de Maizière drängt nicht weiter auf Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen. Doch Abschottung allein ist keine Lösung.

Menschen protestieren vor einem Zaun

Flüchtlingsprotest 2015: Länder wie Ungarn schotten sich ab Foto: dpa

Solidarität wird in der EU kleingeschrieben, wenn es um die Flüchtlings- und Asylpolitik geht. Polen und Ungarn wollen gar keine Asylbewerber aufnehmen, die meisten anderen EU-Länder erfüllen ihre Quote nicht. Selbst Deutschland hinkte lange hinter dem Plansoll hinterher.

So ist es nur konsequent, wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière nun die Reißleine zieht. Die Bundesregierung sei bereit, die Debatte über eine gleichmäßigere Verteilung von Flüchtlingen vorerst auszusetzen, sagte er bei einem EU-Treffen in Sofia.

Man kann ihn irgendwie verstehen. Es scheint wenig sinnvoll, über ein Thema zu reden, bei dem sich die einen taub stellen und die anderen nur so tun, als ob. Also vertagt man die leidige Quoten-Debatte, um andere wichtige Aspekte der Asylpolitik zu regeln.

Bemerkenswert ist allerdings, dass der Rückzieher ausgerechnet jetzt erfolgt – zehn Tage nach der vorläufigen Einigung auf Koa­litionsverhandlungen. Ist das mit der SPD abgesprochen? Bisher hat Parteichef Martin Schulz doch immer besonders vehement Solidarität eingefordert.

Osteuropäer sind nicht mehr allein

Und ist es nur ein taktischer Schwenk, um die Gemüter zu beruhigen – oder eine Kapitulation vor den Abschottungspolitikern? Hat vielleicht sogar Österreich den Ausschlag gegeben, wo jetzt Rechtsnationalisten an der Regierung beteiligt sind, die offen gegen Flüchtlinge hetzen?

Fest steht, dass sich mit dem Machtwechsel in Wien die Gewichte verschoben haben. Plötzlich sind die Osteuropäer nicht mehr allein. Auch der neue Kanzler Sebastian Kurz hat sich für ein Ende der Quoten eingesetzt. In Berlin hat dies offenbar Eindruck gemacht.

Es reicht jedoch nicht, die neuen Realitäten achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen – und die Debatte auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Die Zeit drängt. Schon im Juni soll die seit 2015 überfällige große Reform der EU-Flüchtlingspolitik stehen.

Wenn das noch irgendwie gelingen soll – die Chancen stehen schlecht –, muss die neue Bundesregierung jetzt sagen, welche Strategie sie verfolgt. Will sie zurück zum gescheiterten System von Dublin, bei dem die Last einzig und allein auf den Ankunftsstaaten in Südeuropa liegt?

Und auch die Verweigerer aus Osteuropa und Österreich müssen sich erklären. Von Kurz & Co würde man schon gern wissen, wie sie sich Solidarität in der Asyl- und Flüchtlingspolitik ohne Quoten vorstellen. Abschottung allein, so viel muss klar sein, ist keine Lösung.

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Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog

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