Kommentar Doppelte Staatsbürgerschaft: Die Zeit arbeitet gegen die Union

Mehrstaatlichkeit wird im Koalitionsvertrag nicht grundsätzlich akzeptiert. Aber die Abschaffung der Optionspflicht weist nach vorn.

Noch nicht für alle Einwanderer: Der Doppelpass. Bild: Bild: dpa

Da hat Sigmar Gabriel den Mund ein bisschen zu voll genommen. Ohne die doppelte Staatsbürgerschaft werde es keinen Koalitionsvertrag geben, hatte der SPD-Chef während der Verhandlungen mehrfach verkündet. Gekommen ist es anders: Mehrstaatlichkeit wird im Koalitionsvertrag nicht grundsätzlich akzeptiert.

Das heißt: Es wird weiterhin eine Ungleichbehandlung zwischen zugezogenen EU-Bürgern, die beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ihre alte behalten dürfen, und zum Beispiel zugezogenen Türken geben, die ihren alten Pass abgeben müssen, wenn sie Deutsche werden wollen. Das dringend notwendige Signal an die Einwanderer der Eltern- und Großelterngeneration bleibt also aus. Auch werden Einbürgerungen nicht zunehmen – obwohl genau das wünschenswert wäre.

Dennoch ist der Kompromiss, auf den sich SPD und Union verständigt haben, ein riesiger Schritt nach vorn. Denn die Optionsregelung wird endlich gekippt.

Jene Regelung also, die in Deutschland geborenen Kindern mit nicht-deutschen Eltern zwar zunächst beide Staatsbürgerschaften gibt, sie aber dazu zwingt, spätestens an ihrem 23. Geburtstag einen der beiden Pässe abzugeben. Diese Regelung, mit der einst der Union die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts abgerungen wurde, ist bürokratisch aufwendig und integrationspolitisch kontraproduktiv.

Loyal zu zwei Ländern

Mit dem Zugeständnis rückt die Union weiter von der Vorstellung ab, dass der Doppelpass Teufelszeug ist, weil mit ihm zwangsläufig Identitätskonflikte einher gehen. Man könne sich nicht gleichzeitig zwei Ländern gegenüber loyal verhalten, hatten konservative Innenpolitiker jahrzehntelang postuliert.

Diese Vorstellung aber hatte mit der Lebensrealität vieler Menschen, die selbstverständlich emotionale Bindungen an zwei Länder haben, noch nie etwas zu tun.

Als Folge des Kompromisses wird es künftig immer mehr Menschen geben, die zwei Pässe haben. An der Vorstellung festzuhalten, Mehrstaatlichkeit im Grundsatz abzulehnen, wird also immer schwieriger. Sich von der Idee ganz zu verabschieden, fällt der Union noch immer schwer. Die Zeit arbeitet gegen sie.

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Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.

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