Kommentar Der Papst in Südamerika: Angst vor Argentinien
Auf seiner Südamerikareise meidet Franziskus sein Heimatland Argentinien. Er hat Angst um sein Image als Papst der Armen und Bedürftigen.
A m Montag überflog Papst Franziskus Argentinien. Dass er auf seiner inzwischen sechsten Lateinamerikareise wieder nicht in Argentinien Station macht, stößt bei vielen auf immer weniger Verständnis, zumal es bei seinem jetzigen Besuch in Chile und Peru nun wirklich nicht weit für eine Stippvisite wäre.
Vom Himmel schickte er ein Grußtelegramm an Staatspräsident Mauricio Macri. Darin stand nicht Aufregendes und schon gar nicht, wann er endlich zum Besuch in seine alte Heimat kommt. Seit der ehemalige Erzbischof von Buenos Aires Jorge Bergoglio 2013 nach Rom aufbrach, dort zum Papst gewählt wurde und sich seither Franziskus nennt, war er nicht wieder in seinem katholischen Heimatland.
Gerade in Argentinien wäre der Papst der Armen und Bedürftigen willkommen. Jeder Dritte lebt hier unterhalb der Armutsgrenze, rund 14 Millionen Menschen. Schon als Erzbischof hatte er die besten Verbindungen in die Armensiedlungen in und um die großen Städte herum. Und stets wird gemutmaßt, wie der Papst von Rom aus weiter die Fäden zieht. Dass er in seinen ersten Amtsjahren nicht kam, verbuchten alle unter den Stichworten Einarbeitungszeit und Aufräumarbeiten. Stattdessen begannen Argentiniens Politiker, Gewerkschafter und VertreterInnen von Basisorganisationen einen nicht enden wollenden Pilgerzug nach Rom. Es unterstreicht die bekannte Tatsache, dass der argentinische Papst vor allem ein guter und schlauer Politiker und weit weniger ein Geistlicher ist.
Papst Franziskus wird nicht kommen. Er weiß, dass er nach einem Argentinienbesuch nur als Verlierer dastehen kann. Denn er weiß, wie seine Landsleute ticken. Er würde sein Image als Hoffnungsträger und Papst der Armen verlieren. Millionen ArgentinierInnen würden hoffnungs- und erwartungsvoll zu seinen Messen kommen, um nach seinem Abflug festzustellen, dass sich an ihren alltäglichen Kampf ums Überleben nichts geändert hat.
Franziskus würde eine enttäuschte Leere hinterlassen, die sich als gefährlicher sozialer Sprengstoff entladen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren