Kommentar CDU-Werkstattgespräch: Extraportion Flüchtlingspolitik
Die Debatte der CDU zur Migrations- und Flüchtlingspolitik ist überflüssig. Die Argumente sind ausgetauscht und Konsequenzen gezogen.
D ie CDU feiert sich selbst: Wir richten den Blick nach vorne, das ist ein guter Neuanfang, wir machen jetzt Inventur – so preisen die Christdemokraten sich selbst und ihr Werkstattgespräch zur Flüchtlingspolitik an. Noch bis Montagabend will die Partei im Stuhlkreis über das Flüchtlingsjahr 2015 und dessen Folgen diskutieren. Sie selbst versteht das Event als vorbildliche Form parteiinterner Partizipation. In Wahrheit gibt es allerdings nichts Unnötigeres als diese Veranstaltung.
Nicht falsch verstehen: Natürlich ist die Migration eines der bestimmenden Themen dieser Jahre und natürlich sind Diskussionen, Fehleranalyse und Lösungssuche nötig. Diese Diskussionen finden aber schon seit vier Jahren ununterbrochen statt – in den Medien, in den zuständigen politischen Gremien und auch innerhalb der CDU. Schon die Regionalkonferenzen im Herbst, in dem sich die drei KandidatInnen um den Parteivorsitz der Basis vorgestellt haben, wirkten teilweise wie eine einzige Traumatherapie zur Flüchtlingspolitik.
Die Argumente sind also ausgetauscht, Konsequenzen im Sinne von Gesetzesverschärfungen hat die CDU längst gezogen. Der Erkenntnisgewinn des Werkstattgesprächs geht damit gegen Null. Dagegen steht der potentielle Schaden, den die Inszenierung mit sich bringt: Wer die Flüchtlingspolitik zur Schicksalsfrage überhöht, der kann nur verlieren. In diesem Bereich haben die Rechten mit ihren Deutungsmustern (von „Staatsversagen“ bis „Überfremdung“) schließlich längst die Hegemonie gewonnen.
Wie man es cleverer machen kann als die CDU, zeigt in diesen Tagen ausnahmsweise die SPD. Nicht, dass sie den Bereich Flucht und Migration ignoriert. In den Mittelpunkt ihrer Selbstinszenierung stellt sie derzeit aber ein ganz anderes Thema, das für viele Menschen sehr viel existenzieller ist: das Soziale mit Grundrente und Reform von Hartz IV. So schwankend Wahlumfragen auch sind: Dass die SPD in aktuellen Befragungen leicht zulegt, während die AfD verliert, könnte darauf hindeuten, dass ihr neuer Kurs wirkt.
Kurioserweise könnte davon auch die CDU profitieren: Je stärker die SPD wieder zur Sozialstaatspartei wird, desto stärker könnte die CDU in ihrem Klientel als Martkwirtschaftspartei punkten. Die neue Unterscheidbarkeit könnte WählerInnen mobilisieren. Dafür müsste die Union aber erst mal mit voller Kraft auf das Thema aufspringen – anstatt die Debatte gleich wieder unter einer Extraportion Flüchtlingspolitik zu begraben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland