Kommentar Briefwahl: Freiheit gibt's nur vor der Tür

In diesem Bundestagswahlkampf werben viele Parteien explizit dafür, die Briefwahl zu nutzen. Das widerspricht dem Gedanken der geheimen Wahl.

Menschen sortieren Briefumschläge

So viel zusätzliche Arbeit: Wahlhelfer*innen zählen Briefwahlunterlagen aus Foto: dpa

„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“ So steht es im Grundgesetz, Artikel 38. Dass jeder deutsche Staatsbürger sich aussuchen darf, wann und unter welchen Umständen er wählt, steht da nicht. Dennoch machen immer mehr WählerInnen von ihrem Recht auf Briefwahl Gebrauch, und im diesjährigen Wahlkampf haben alle Parteien sogar massiv dafür geworben. Das mag helfen, die Wahlbeteiligung zu erhöhen und ist insofern gut für die Demokratie. Dennoch ist der allgemeine Trend zur Briefwahl gefährlich, denn er widerspricht dem Geist der Wahl.

Klar gibt es gute Gründe für eine Briefwahl: Kranke und Pflegebedürftige wollen oder können nicht ins Wahllokal, ebenso UrlauberInnen. Auch wer nicht an seinem Heimatort arbeitet oder studiert, soll gern die Briefwahl nutzen. Aber sie sollte die Ausnahme sein. Wenn – wie an manchen Orten – bereits jeder Dritte zum Brief greift, stimmt etwas nicht. Viele Wähler tun dies aus reiner Bequemlichkeit, um sich am Wahltag nicht ins Wahllokal aufmachen zu müssen und flexibel zu bleiben. Es könnte ja regnen (oder die Sonne scheinen), es könnten Freunde kommen oder dringende Postings zu erledigen sein.

Diese Herangehensweise ist respektlos, und zwar gegenüber der fest terminierten Wahl und den Tausenden Wahlhelfern in den Wahllokalen. Außerdem: Wer schon Wochen vor der Wahl seine Stimme abgibt, weiß weniger als die Wähler am Wahltag. Innerhalb kurzer Zeit können Dinge geschehen, die das Wahlverhalten beeinflussen: ein gravierender Atomunfall etwa, eine internationale Krise, ein Terroranschlag.

Zur Erinnerung: Ohne Fukushima wäre Winfried Kretschmann (Grüne) sicher nicht baden-württembergischer Ministerpräsident geworden, was noch heute Einfluss auf die Politik in seiner Partei und in Deutschland hat. Niemand kann zudem garantieren, dass alle Briefwähler wirklich frei abstimmen. Es könnte ja sein, dass ein Ehemann seine Frau mit Gewalt zu einem bestimmten Votum zwingt. In der Wahlkabine hingegen ist jeder Wähler und jede Wählerin allein, und die Wahl ist frei und geheim. Das sollte die Regel bleiben.

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Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.

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