Kommentar Berlusconi: Über jedes Recht erhaben
Trotz des Verfassungsgericht-Urteils: In der Sache hat Berlusconis Sicht der Dinge sich schon lange durchgesetzt.
Ich stehe über dem Gesetz - dieser Spruch könnte bei Silvio Berlusconi gut über dem Schreibtisch hängen. "Eine Farce" seien die Vorwürfe, die gegen ihn in den nun wieder losgehenden Prozessen erhoben werden, eingestielt von "linksextremen Staatsanwälten", polterte er. Doch statt diesen Enkeln Wyschinskijs die Stirn zu bieten, zog Berlusconi immer einen Weg vor, der gewöhnlichen Bürgen nicht offen steht: sich seinen Prozessen mit allen Mitteln zu entziehen.
Jetzt ist es erneut ein Urteilsspruch der Verfassungsrichter, der diesem Vorgehen Steine in den Weg legt - und wieder reagiert Berlusconi, als sei er die letzte Instanz in Italien, der es zusteht, die Legitimität des Handelns aller Verfassungsorgane zu beurteilen. Selbstverständlich gilt: Legitim ist, was Berlusconi nützt. Gewiss, das Gesetz sei gleich für alle, hatten seine Anwälte vor dem Verfassungsgericht argumentiert, doch "die Anwendung des Gesetzes" müsse manchmal unterschiedlich ausfallen - zum Beispiel zugunsten eines Premiers, der seine Prozesse auf Eis gelegt sehen möchte. Besser kann man Berlusconis Rechtsphilosophie nicht zusammenfassen.
Und auch wenn das Verfassungsgericht jetzt Nein gesagt hat zu Berlusconis Immunität, auch wenn es ihn als Bürger wie jeden anderen behandelt sehen möchte - in der Sache hat Berlusconis Sicht der Dinge sich schon lange durchgesetzt. Wohl in jeder anderen westeuropäischen Demokratie hätte der Ministerpräsident nach dem Urteil über Rücktritt nachgedacht. In Italien dagegen kokettiert Berlusconi mit Neuwahlen - im sicheren Wissen, dass sie ihm zum heutigen Zeitpunkt mit großer Wahrscheinlichkeit einen Kantersieg einbringen würden. Doch den braucht er womöglich gar nicht. Weiterhin hat Berlusconi eine ebenso große wie geschlossene Mehrheit im Parlament - die er jetzt wohl nutzen wird, um die Justiz endgültig unter Kontrolle zu bekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rassismus der CDU
Merz will Doppelstaatler ausbürgern
Dreikönigstreffen der FDP
Lindner schmeißt sich an die Union ran
Religionsunterricht
Deutschlands heilige Kuh
Regierung in Österreich
Warnsignal für Deutschland
Merz’ neueste Abschiebeforderungen
Kein Ausrutscher
Neunzig Prozent E-Autos bei Neuwagen
Taugt Norwegen als Vorbild?