Kommentar Berliner Demo-Knall: Politischer Brandbeschleuniger
Politisch ging der Demo-Sprengsatz nach hinten los: Er gibt der Debatte um angeblich neue Stufen linker Gewalt neues Futter und funktioniert als politischer Brandbeschleuniger.
Rund 40.000 Menschen gingen am Wochenende in ganz Deutschland gegen die Sparpläne der Regierung auf die Straße. Doch weil in Berlin auch ein Sprengsatz explodierte, der zwei Polizisten schwer verletzte, kennen interessierte Politiker und Medien nur noch ein Thema: die angebliche Zunahme linksextremer Gewalt.
Sollte es tatsächlich eine selbst gebaute Splitterbombe gewesen sein, die da am Samstag detonierte, dann ist diese Gewalt scharf zu verurteilen. Vorsicht bei der Bewertung solcher Verlautbarungen ist aber angebracht, das weiß man spätestens seit den G-8-Protesten von Heiligendamm: Damals warnte die Polizei tagelang vor "Säureattacken" auf ihre Beamte, was sich später als das Seifenblasenwasser der Clownsarmee herausstellte.
Martin Kaul ist Bewegungsredakteur der taz.
Diesmal sprechen viele Anzeichen dafür, dass der wie auch immer geartete Sprengsatz - ob nun Böller oder Bombe - kein verspäteter Silvesterscherz war. Und wer auch immer für diesen Demo-Knall gesorgt hat: Es war unverantwortlich und dumm. Nicht nur, weil dabei Menschen gefährdet wurden. Sondern auch, weil der dumpfe Knall vielen anderen die Stimme geraubt hat, die Wichtiges zu sagen hatten. Politisch ging der Sprengsatz ohnehin nach hinten los: Er gibt der - längst überhitzten - Debatte um angeblich neue Stufen linker Gewalt neues Futter und funktioniert als politischer Brandbeschleuniger.
Für Verschwörungstheoretiker ist die Sache klar - in ihren Augen kann nur der Staat selbst ein Interesse daran haben, mit fingierten Aktionen eigene Zwecke zu verfolgen. Andere sagen, man sollte nichts mit Verschwörungsdenken erklären, was sich nicht auch mit Dummheit erklären lässt. Vieles deutet darauf hin, dass die Sprengsatzattacke vom Wochenende auf Letzteres zurückgeht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Konsequenzen der Messerattacke
Weder „Remigration“ noch Bleiberecht für alle
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++
Menschen in Ramallah feiern Hamas nach Gefangenenaustausch
#MeToo nach Gelbhaar-Affäre
Glaubt den Frauen – immer noch
Merz’ Anbiederung an die AfD
Das war’s mit der Brandmauer
Grünes Desaster
Der Fall Gelbhaar und die Partei
Christian Drosten
„Je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich“