Proteste gegen Sparpaket: Demo ohne Busladungen

20.000 Menschen protestieren in Berlin gegen Kürzungen - die meisten kommen auf "eigene Faust". Durch einen Explosionskörper werden zwei Polizisten schwer verletzt.

Was fehlt sind die Gewerkschaftler: DemoteilnehmerInnen in Berlin. Bild: apn

Nein, der typische Gewerkschafter sei er nicht, sagt Lars Dieckmann. Eher ein Quereinsteiger, der nicht schon immer für die Gewerkschaft gearbeitet hat und ein Querdenker noch dazu. Einer, der glaubt, dass die Gewerkschaft der Zukunft sich öffnen muss, wenn sie weiterhin eine schlagkräftige gesellschaftliche Stimme sein will.

Der "typische" Gewerkschafter ist am Samstag in Berlin auf der Demonstration "Die Krise heißt Kapitalismus" ohnehin deutlich seltener vertreten als bei der Demo mit dem gleichen Ansatz im März vergangenen Jahres. Die Bundesverbände der großen Gewerkschaften haben diesmal mit einer Ausnahme nicht zur Teilnahme aufgerufen. Damit bleiben auch die Busladungen an Gewerkschaftern mit Trillerpfeifen, roten T-Shirts und Fahnen aus. Wer mitläuft, ist auf eigene Faust gekommen.

Auch Lars Dieckmann, hauptamtlicher Mitarbeiter bei der IG BAU, ist privat dabei. Auf der Bühne vor dem Roten Rathaus beginnt gerade die Kundgebung, als er eine Fahne der IG BAU entdeckt. "Ein Kollege", ist er sich sicher und zwängt sich durch die Menge in Richtung Bühne. Der Kollege ist - im Gegensatz zu Dieckmann - ein ehrenamtlich in der Gewerkschaft engagierter älterer Herr, der seit über 40 Jahren auf dem Bau arbeitet. "Und, wo hast du die Massen an Kollegen gelassen?", scherzt er. Dieckmann zuckt die Schultern .

Als sich der Demonstrationszug formiert, bleibt der Gewerkschaftsblock übersichtlich. Ein Wagen von Ver.di fährt im ersten Drittel mit, darum formieren sich mehrere hundert Sympathisanten. "Im Moment befinden sich die Gewerkschaften in einer Vermittlerrolle", sagt Dieckmann, als die Musik gerade pausiert. Anders als unter Exkanzler Schröder, bei dem man sich als Institution überhaupt nicht ernst genommen gefühlt habe, sei das Klima unter einer Bundeskanzlerin Merkel wieder versöhnlicher geworden. Und da traut man sich nicht so richtig, die bequeme Vermittlerrolle gegen eine unbequeme Kritikerrolle zu tauschen? "Schon möglich", sagt Dieckmann. Auch vertreten die Gewerkschaften immer weniger Menschen: Im vergangenen Jahr haben die im DGB organisierten Gewerkschaften über 100.000 Mitglieder verloren, in den Vorjahren waren die Verluste noch höher.

Der Demonstrationszug stockt, ein lauter, dumpfer Knall ertönt. Hundertschaften der Polizei bauen sich mit heruntergeklappten Visieren an den Rändern auf, gehen schließlich zwischen die Demonstranten und versuchen, den antikapitalistischen Block abzutrennen. Viele Demonstranten aus den benachbarten Blöcken versuchen das zu verhindern, diskutieren mit den Polizisten und mischen sich unter die schwarz gekleideten Antikapitalisten.

Später erklärt die Polizei, dass zwei Beamte durch Explosionskörper schwer verletzt worden seien, weitere 13 hätten ambulant behandelt werden müssen. Zuvor seien Polizisten aus dem Zug heraus mit Flaschen und Steinen beworfen worden. Demonstranten berichten dagegen von Provokationen durch die Polizei, die versucht habe, sich in den Aufzug zu drängen. Auch Dieckmann bleibt stehen, stimmt in die "Haut ab"-Rufe der Demonstranten mit ein. "Ich denke, eine Demonstration ist ein demokratisches Grundrecht und das muss man auch durchsetzen."

Auf der Abschlusskundgebung wettert Gerd Buddin vom Berliner Ver.di-Bezirk gegen die Bundesregierung. Die Demo sei nur der Auftakt zu Protesten gegen die Kürzungspolitik, "und wir als Gewerkschaften sind dabei." Die Veranstalter geben die Teilnehmerzahlen durch: 20.000 seien in Berlin gekommen, noch einmal so viele in Stuttgart. Bei den Protesten im März vergangenen Jahres hatten die Organisatoren in Berlin und Frankfurt am Main noch 55.000 Demonstranten gezählt.

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