Kommentar Benno Schirrmeister über bedrückende Bildungslücken: Fraktionen verstehen sich selbst nicht
Stellen Sie sich mal vor: Die Regierung wird gewählt. Und die Fraktionen müssen erst einmal dolle nachdenken, wen sie als Senatorin für welches Ressort nominiert haben, und warum. Ähm, sie heißt glaube ich Claudia und … verflixt, ähm, nee, warten Sie mal, den Nachnamen müssen wir googeln. Unmöglich?
Ja, durchaus. Aber im Grunde genau das, was beim Staatsgerichtshof diesmal passiert ist: Man hat die Besetzung dieses dritten Verfassungsorgans zur bloßen Handhebe-Zeremonie verkommen lassen. Dabei sind die Nominierungen von Richtern stets kraftvolle politische Statements: Die Verfassung will das so. Sie hat auch gute Gründe: Gerecht urteilen wird eben nicht eine über allem schwebende unparteiische Justiz. Im Gegenteil: Sie muss sich dafür die Augen verbinden. Unabhängigkeit ist herzustellen. Nur wer dazu in der Lage ist, ist fürs Amt geeignet. Aber ebenso kann nur, wer sich für Gesellschaft engagiert und an ihrer Meinungsbildung aktiv teilnimmt, ihre Belange auch angemessen bewerten. Wer wie der Staatsgerichtshof an der Entwicklung des Rechts mitarbeiten soll, muss in Kontakt stehen zu den politischen Strömungen, die an seiner Setzung beteiligt sind.
Dass von mehreren Fraktionen die Frage nach den Motiven der eigenen Auswahl als ehrenrührig gedeutet wird, zeugt daher von einem profunden Mangel an politischer Bildung: Sie sehen sich offenbar als reine Instrumente der Macht- und Postenverteilung. Darüber sollten sie noch einmal nachdenken. Denn ein solches Selbstverständnis gefährdet die Demokratie.
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