Kommentar Bahnsicherheit in Europa: Das Drei-Klassen-System
Anders als Paris will Berlin keine einheitlichen und systematischen Kontrollen im Bahnverkehr. Das ist gut, greift aber doch zu kurz.
W er in diesen Tagen mit dem Zug durch Europa reist, stößt auf ein Drei-Klassen-System der Sicherheit und Überwachung. Beim Eurostar von London nach Paris und Brüssel geht es zu wie in einem Flugzeug – mit Leibesvisiten und Ausweiskontrollen. Beim Thalys von Brüssel nach Paris fahren immerhin noch teils bewaffnete Polizisten mit. In Deutschland hingegen könnte man meinen, es habe nie eine Terrorattacke gegeben.
An diesem Drei-Klassen-System dürfte sich auch nach dem Treffen der Innen- und Verkehrsminister am Wochenende in Paris nicht viel ändern. Deutschland blockierte dort nämlich alle Vorstöße aus Brüssel und Paris, die auf einheitliche und systematische Kontrollen hinausliefen. Berlin möchte weder Namenstickets wie in französischen TGVs noch Metalldetektoren wie im Eurostar nach London. Nur in begründeten Einzelfällen soll es Ausnahmen geben.
Das ist gut so – und greift doch zu kurz. Denn zum einen macht die Terrorgefahr nicht vor der deutschen Grenze Halt. Es macht keinen Sinn, dass der Thalys-Schnellzug in Frankreich und Belgien streng kontrolliert wird, bei der Fahrt nach in Deutschland hingegen Narrenfreiheit herrscht. Das lädt potentielle Attentäter geradezu ein, künftig nicht in Brüssel, sondern in Köln zuzusteigen, wo die Polizei durch Abwesenheit glänzt.
Zum anderen zeigt der Fall des Thalys-Attentäters, dass es nicht nur um die Sicherheit bei Bahnreisen geht. Der Täter war vor seinem versuchten Angriff auf Bahnreisende unbehelligt von Berlin in die Türkei geflogen, von wo aus er zum IS nach Syrien weitergereist sein soll. Weder die deutschen noch die türkischen Behörden haben diese Form des Terror-Tourismus verhindert. Nur deshalb konnte der Mann später im Thalys gefährlich werden.
Letztlich geht es darum, mögliche Terroristen in allen europäischen Verkehrssystemen zu überwachen und zu stellen. Eine freie Bahn für freie Bürger ist gut und schön – doch das Problem geht weit über Zugreisen hinaus.
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