Kommentar Bahn-Chef Mehdorn: Eine Frage der Hygiene
Bahn-Chef Mehdorn nennt die Rücktrittsforderungen Teil einer linken Verschwörung. Seine Entlassung ist nur noch eine Frage der politischen Hygiene.
M angelndes Selbstbewusstsein konnte man Hartmut Mehdorn noch nie vorwerfen. Doch inzwischen leidet der Chef der Deutschen Bahn offenbar unter Bewusstseinstrübung. Nicht anders ist es zu erklären, dass Mehdorn die Stasimethoden in seinem Unternehmen auch noch verteidigt und nichts Ungesetzliches daran entdecken mag. Das Management hat hunderttausende E-Mails der Mitarbeiter auf Kontakte zu Journalisten, Experten und Bundestagsabgeordneten überprüft und Nachrichten der Lokführergewerkschaft gelesen und gelöscht. Und was fällt Mehdorn dazu ein? Das Ganze sei ein wenig übertrieben worden, lautet seine Auffassung, und im Übrigen nennt er die Rücktrittsforderungen Teil einer linken Verschwörung. Gehts noch?
Damit wird der Bahn-Chef zum Problem für die Politik. Über Jahre waren sich beide Seiten gegenseitig nützlich und hilfreich. Mehdorn sanierte den angestaubten Betrieb, verkleinerte die Belegschaft, ohne Kündigungen auszusprechen, sorgte für schwarze Zahlen und hielt der Bundesregierung so den Rücken frei. Gemeinsam bereitete man die Privatisierung des Unternehmens vor. Eine, um es vorsichtig zu formulieren, gewisse Hemdsärmeligkeit im Umgang mit seinen Kritikern und Fehler Mehdorns bei der Tarifgestaltung nahmen die Kanzler Schröder wie Merkel dabei notgedrungen hin.
Das gemeinsame Ziel Privatisierung ist angesichts der Krise auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden. Damit fehlt dem Bündnis zwischen Mehdorn und der Bundesregierung die Grundlage. Der Mann ist eigentlich nicht mehr nötig. Seine Eskapaden erscheinen da in einem anderen Licht. Über das Wochenende fand sich denn auch kein einziger Politiker, der den Bahn-Chef verteidigte. Aus dem Kanzleramt kam nur beredtes Schweigen.
Es ist mehr als müßig, einen Rücktritt Mehdorns zu verlangen. Der Mann hätte in den vergangenen Jahren schon ein Dutzend Mal seinen Stuhl räumen müssen, wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre. Ob er jetzt noch entlassen wird, ist eine Frage der politischen Hygiene, mehr nicht. Aber auch nicht weniger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass