Kommentar Bachmann-Preisträgerin: Mehr als nur ein Ei

Sharon Dodua Otoo setzt sich seit Jahren für mehr Sichtbarkeit von Schwarzen Frauen ein. Ihre Ehrung setzt ein starkes Signal.

Sharon Dodua Otoo hält lächelnd eine aufgeschlagene Kladde in den Händen

Die strahlende Gewinnerin (r), neben ihr Klagenfurts Bürgermeisterin (m) und die Laudatorin (l) Foto: dpa

Als Sharon Dodua Otoos Name am Sonntag durch die Presse geht, hören viele Medienrezipient_innen das erste Mal von der Autorin. Otoos Geschichte über ein altes Ehepaar und ein Ei hat die Kritiker_innen überzeugt. Und so ist die kurze Erzählung: Eine ausgezeichnete Autorin wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis geehrt.

Die längere Erzählung ist: Erstmalig hat eine Schwarze Frau einen der prestigeträchtigsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum erhalten. Eine Frau, die sich selbst seit Jahren für mehr Sichtbarkeit von Schwarzen Frauen einsetzt – in ihren Texten und als Aktivistin. Die Stärke dieses Signals ist unermesslich.

In der Novelle „die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle“ (edition assemblage, 2012) beschreibt Otoo den Alltag einer Frau, die sich gerade von ihrem Mann trennt. Eine scheinbar gewöhnliche Geschichte. Nur die Perspektive ist ungewöhnlich. Es ist die einer Schwarzen Frau, etwa in der Berliner U-Bahn: „Weiße Menschen sehen mich manchmal so an, als sei ich ihre eigene private Völkerschau. Zurückstarren hilft nicht.“

Jetzt schaut Otoo zurück. Und sie schaut sehr genau. In ihrem Gewinnerinnenbeitrag „Herr Gröttrup setzt sich hin“ beschreibt sie einen alten Mann, der Regionalbahnen ohne Verspätung schätzt, den Münchner Merkur liest und um Punkt 7.30 Uhr mit seiner Frau zu Frühstück isst.

Die Seele des deutschen Biedermeier

Bei einem solchen Frühstück passiert es, dass dem werten Herr Gröttrup plötzlich das überhaupt nicht feste Eigelb seines Frühstückseis auf die Krawatte spritzt. „Das waren doch auf die Sekunde siebeneinhalb Minuten! Oder etwa nicht?“ Das Ei, das später auch aus Ich-Perspektive erzählt, weigert sich, den Erwartungen dieser druchgeregelten Welt der Gröttrups zu entsprechen. Es bleibt weich und widerständig.

Otoo erzählt die Geschichte in Loriot-Manier, so beschreiben es viele Kritiker_innen. Mit diesem Kniff ist Otoo in die Seele des deutschen Biedermeier-Humors eingedrungen und hat so eine Zugänglichkeit geschaffen, die ihre vorherigen Texte bisher nicht erreichen konnten. Diese waren ebenso „fein gearbeitet“ wie ihr Bachmann-Preis-Beitrag, beschrieben den Alltag jedoch dezidiert aus Schwarzer Perspektive.

Weniger politisch als ihre vorherigen Texte ist „Herr Gröttrup setzt sich hin“ aber keineswegs. Otoo beschreibt nicht nur die Geschichte eines unangepassten Eis, sondern nutzt auch Worte wie „jemensch“ statt „jemand“ oder „Cis-Mann“ statt einfach nur „Mann“.

Beide Begriffe sind Teil eines bei Sharon Dodua Otoo tief verwurzelten Verständnisses von diskriminierungsarmer Sprache. Eine Sprache, die über ein binäres Denken über Geschlechtsidentitäten hinausgeht. Und eine, von der diskriminierende Begriffe ausgeschlossen sind. Wie etwa das N-Wort.

Das taz-Podium verlassen

Vor etwas mehr als drei Jahren diskutierte das deutsche Feuilleton und bald der ganze Medienbetrieb, ob es eine Verunstaltung der deutschen Sprache sei, in Kinderbüchern oder auch im alltäglichen Gebrauch auf das N-Wort als Bezeichnung Schwarzer Menschen zu verzichten.

Otoo vertritt die Position: Das Wort ist verletzend für Schwarze Personen. Darüber diskutierte die Autorin im April 2013 auch auf einem Podium der taz – und verließ den Raum, weil der Moderator ihre Bitte ignorierte, das Wort nicht gedankenlos immer weiter zu wiederholen.

Später schrieb Otoo in einem Artikel in der taz: „Wenn ich für eine gendergerechte und rassismusfreie Sprache plädiere, dann, weil ich andere – und mich selber – für die eigenen Privilegien zu sensibilisieren versuche.“ Dies tut Otoo seit Jahren auf verschiedenen Ebenen: als Autorin, Herausgeberin der Reihe „Witnessed“, in der Schwarze Autor_innen von ihren Erfahrungen in Deutschland schreiben, und als Aktivistin.

Es ist nur der Anfang

Die seit einigen Jahren in Berlin lebende Britin ist Teil der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD e.V.). Eines der Hauptziele des Vereins ist das Fördern eines Schwarzen Bewusstseins. Integrale Stütze dafür ist die Sichtbarkeit Schwarzer Menschen.

Die Auszeichnung von Sharon Dodua Otoo mit dem diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis bedeutet genau auch das: Sichtbarkeit. Eine Schwarze Frau gewinnt einen der wichtigsten Literaturpreise. Noch dazu eine Frau, die seit Jahren weiße Vorherrschaft anprangert und mehr Teilhabe fordert.

In ihrer Laudatio bezeichnete Sandra Kegel den Text als eine „unangestrengte Satire über den typisch deutschen Alltag“. Das Ei ist aber nur der Anfang. Sharon Dodua Otoo wird im deutschsprachigen Literaturbetrieb eine Spur deutlicher Worte hinterlassen. Das werden viele als anstrengend empfinden. Aber es wird allen ungemein gut tun.

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Stellvertretende Chefredakteurin der taz seit April 2016. Vorher Chefredakteurin des Missy Magazine. Aufgewachsen in Dresden. Schreibt über Kultur, Feminismus und Ostdeutschland. In der Chefredaktion verantwortlich für die digitalen Projekte der taz. Jahrgang 1985.

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