Kommentar Außenminister Maas: Pflegeleicht hilft nicht
Maas wird Außenminister, weil er als unkompliziert gilt. Aber in der Europapolitik muss man dem deutschen Mainstream widerprechen können.
D ie vielleicht tragikomischsten Momente in Yanis Varoufakis Buch „Die ganze Geschichte“ sind die Begegnungen mit Michel Sapin und Sigmar Gabriel. Frühjahr 2015, die Syriza-Regierung sucht unter Europas Sozialdemokraten nach Bündnispartnern. Der Ablauf ist immer der gleiche: Schulterklopfen und Solidaritätsbekundungen im Vier-Augen-Gespräch, dann geht es hinaus vor die Presse. Die freundliche Atmosphäre ist wie weggewischt, stattdessen verkünden der damalige französische Außenminister Laurent Fabius und Gabriel das Troika-Mantra vom Reformbedarf in Griechenland.
Gabriel war sich immerhin bewusst, dass die Austeritätspolitik, die die EU dem europäischen Süden aufzwang, ökonomisch nicht tragfähig war und Europa spaltete. „Wenn einem auf der Autobahn die Lichter entgegenkommen, darf man gelegentlich fragen, ob man auf der richtigen Spur ist“, kritisierte er später einmal die deutsche Europapolitik.
Von Heiko Maas sind nicht viele Äußerungen zur EU-Politik bekannt. In der Zeit hat er vor rund einem Jahr einmal seine Gedanken niedergelegt: Es ist die Sicht des deutschen Mainstreams auf Europa: Die EU hat den Frieden bewahrt, das Ende des Euros wäre für Deutschland verheerend, die EU wird ausschließlich durch die Populisten von Le Pen bis zu den Brexit-Befürwortern gefährdet. Wir sind Guten, die anderen die verantwortungslosen Idioten, heißt Maas' Botschaft.
In Teilen Europas ist die Sichtweise eine andere: Demnach hat Deutschland erst durch seine Austeritätspolitik das Anwachsen von Syriza, Cinque Stelle und der Lega und der katalanischen Separatisten befördert – und anschließend durch seine unilateral betriebene Flüchtlingspolitik die Visegrad-Staaten zusammengeschweißt, die Briten in den Brexit getrieben und der FPÖ in die Wiener Regierung geholfen. Das muss man nicht selbst so sehen – aber wenn man Europa wieder einigen will, muss man diese Sichtweise kennen und berücksichtigen.
Die SPD-Spitze hat Maas als Außenminister gewählt, weil er nicht Gabriel ist – und als pflegeleichter gilt. Aber in der Europapolitik muss man Mut haben, dem deutschen Mainstream zu widerprechen, wenn man Europa einen will. Nicht einmal Gabriel hatte das 2015, Finanzminister Schäuble bestimmte die Leitlinien der deutschen Europapolitik gegenüber Griechenland. Wie würde sich Maas wohl gegenüber Finanzminister Olaf Scholz verhalten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen