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Kommentar Ausschreitungen in ÄgyptenMursi braucht eine Vision

Muhammad Mursi kündigt den Notstand an. Doch er muss vor allem auf die Opposition zugehen. Und nach konstruktiven Lösungen suchen.

Kann Mursi den Notstand und die Ausgangssperre von 21 bis 6 Uhr morgens überhaupt durchsetzen? Bild: reuters

Z wei lange und blutige Tage hat es gedauert, bevor der ägyptische Präsidenten Muhammad Mursi nach andauernden Straßenschlachten mit Dutzenden Toten vor die Kamera getreten ist. Er verkündete den Notstand für die Suezkanal-Städte Port Said, Ismailyia und Suez und er lud die Opposition ein, an einem Dialog teilzunehmen.

Das wirft sofort zwei wichtige Fragen auf. Kann Mursi den Notstand und die Ausgangssperre von 21 bis 6 Uhr morgens überhaupt durchsetzen? Die Jugendlichen in Port Said haben bereits angekündigt, ihre Demonstrationen für 21 Uhr anzusetzen. Und Mursi kann sich nicht sicher sein, dass die beiden wichtigsten Institutionen zur Durchsetzung, das Innenministerium und die Armee, nicht ihr eigenes Süppchen kochen.

Politisch entscheidender ist die zweite Frage: Folgt die Opposition der Einladung für Montagabend? Bisher hat die größte Oppositionsgruppe, die Nationale Rettungsfront, alle Gespräche mit dem Muslimbruder Mursi abgelehnt wenn es dafür keine Tagesordnung und keine genau umrissenen Ziele gibt.

Das ist auch diesmal der Fall: Mursi will diese erst im Dialog festlegen, heißt es aus dem Präsidialamt. Die Rettungsfront hatte vor zwei Tagen ihre Bedingungen für ein Ende der Proteste festgelegt: Sie will an einer „Nationalen Rettungsegierung“ beteiligt werden und sie fordert, dass die neue Verfassung umgeschrieben wird.

In Wirklichkeit stehen beide, Mursi und die Opposition, unter Zugzwang. Stellt sich die Rettungsfront auf stur, dann setzt sie sich dem Vorwurf aus, als Opposition ihrer politischen Verantwortung nicht gerecht zu werden. Das gilt auch für Mursi, wenn er den Dialog nur einläutet, um Zeit zu gewinnen. Politisch voran kommt Ägypten nur, wenn beide eine Vision entwickeln, wie es mit dem Land weitergehen soll.

Dabei geht es nicht um die Verfassung, um islamistische oder liberale Konzepte oder darum, wer in einer möglichen Rettungsregierung sitzt. Es geht darum, für die darniederliegende Wirtschaft, die steigenden Preise und die nicht vorhandenen Arbeitsplätze eine gemeinsame Lösung zu finden.

Bild: taz
Karim El-Gawhary

ist Korrespondent der taz in Ägypten.

Es gilt konstruktive Lösungen zu finden. Ansonsten wird die Wut der Ägypter blind, und dann kann sie weder die Regierung noch die Opposition kontrollieren. Die jetzigen Auseinandersetzungen wären dann nur Vorboten für noch düstere Zeiten am Nil.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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2 Kommentare

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  • D
    D.J.

    Ägypten hatte gegen Ende der osmanischen Herrschaft (1800) gegen 2,5 Mio. Einwohner, heute 85 Mio. Sie alle drängen sich im schmalen Niltal, dessen Delta und in wenigen Oasen. Ägypten ist, wenn man die weit überwiegenden Wüsengebiete abrechnet, damit das dichtestbesiedelte Flächenland der Welt. Jedes Jahr kommen ca. 1,5 Mio. hinzu.

    Unter diesen Umständen könnte ich selbst dann kaum optimistisch sein, wenn das Land nicht unter selbstverschuldeter religiöser Unmündigkeit leiden würde. Aber einer Sache bin ich mir ziemlich sicher: Entweder wird die Religion - zumindest mittelfristig - an Bedeutung verlieren - oder Ägypten wird in einem Meer von Chaos und Elend versinken. Keine Chance für Ersteres? Scheint so. Aber seit 1989 wundert mich nichts mehr. Also dennoch ein wenig Optimismus.

  • MH
    Marco Hoffmann

    "

    Sie will an einer „Nationalen Rettungsregierung“ beteiligt werden und sie fordert, dass die neue Verfassung umgeschrieben wird.

    "

     

    Der Wahlverlierer will durch soziale unruhen an die regierung kommen, weil die zweite und damit für mindestens ein jahr letzte amtszeit mursis nicht mit in demokratien üblichen mitteln von guter oppositionstätigkeit und wahlkampf verhindert werden kann?

     

    Die im Gegensatz zum Rundgesetz der brd und der japanischen verfassung von der bevölkerung legitimierte verfassung ägyptens sieht doch bestimmt wege zur verfassungsänderung ähnlich grundgesetzänderungen vor. Traut die opposition sich den rechtsweg nicht zu?

     

    Artikel 33 garantiert die gleichheit vor dem gesetz, genau wie artikel drei des Grundgesetzes - wen stört das? Wen stört die gleichberechtigung der frauen?

     

    Die opposition hat die pflicht, die gemeinsamkeiten zu benennen, damit die jugendlichen mit dem terrorismus aufhören. Wenn die opposition nicht bereit ist, den demokratischen prozess vorzuleben und gewalt gesprächen vorzieht, muss man sie als terroristische vereinigung bezeichnen.

     

    http://www.egyptindependent.com/news/egypt-s-draft-constitution-translated