Kommentar Atomlobby: Eine Drohung, die keine ist
Die Bundesregierung ist jetzt gut beraten, dem Lobbydruck der Atomstromer standzuhalten – und die Brennelementesteuer wie geplant zum nächsten Jahr einzuführen.
W as für eine bizarre Situation. Da betreiben Unternehmen ein Gewerbe, das von einem großen Teil der Bevölkerung eher als Übel denn als Wohltat empfunden wird - und plötzlich drohen sie damit, ebendieses Gewerbe zurückzufahren, wenn die Politik nicht nach ihrer Pfeife tanzt.
Die Atomwirtschaft muss schon ziemlich betriebsblind sein, um die Absurdität zu verkennen. Die Branche lebt offensichtlich in einer Scheinwelt und glaubt immer noch, sie beglücke mit ihrem Tun die Menschheit - aller ungelösten Entsorgungsfragen, aller Strahlenrisiken und aller sozialen Ausbeutung in den Uranminen zum Trotz.
Absurd ist auch die Ankündigung der Konzerne, sie würden nach Abschaltung der eigenen Meiler Strom aus dem Ausland importieren. Denn auch diese Drohung geht an der Realität vorbei: Deutschland erzeugt seit Jahren deutlich mehr Strom, als es benötigt. Im ersten Halbjahr 2010 entsprach der Überschuss jener Menge, die in acht Atomkraftwerken erzeugt wurde. Also wäre Deutschland in den letzten Monaten selbst mit nur 9 statt 17 Atommeilern nicht vom Stromimport abhängig gewesen (und das, obwohl die Monate, nebenbei bemerkt, sogar unterdurchschnittlich viel Windstrom brachten). Diese Entwicklung geht weiter: Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien steigt der deutsche Exportüberschuss seit Jahren. Das Horrorbild, Strom komme infolge des Ausstiegs von ausländischen Schrottreaktoren, ist pure Volksverdummung.
Bernward Janzing ist Autor der taz.
Solche Manöver entspringen der schier grenzenlosen Verzweiflung, die in den Chefetagen der großen Stromkonzerne inzwischen herrscht. Denn plötzlich beginnen die Unternehmen zu erahnen, was in den siebziger Jahren durch die Antiatombewegung begann, was in den achtziger Jahren durch Tschernobyl beflügelt und was in den späten neunziger Jahren durch Rot-Grün politisch verankert wurde. Die Atomkonzerne spüren, dass der Wunsch nach einem Ausstieg aus der Atomkraft keine Episode einer einmaligen Bundesregierung war, die vorbeigeht wie eine Sommergrippe. Sie spüren, dass diese Gesellschaft den Ausstieg will - und sie wollen es trotzdem nicht wahrhaben.
Dass die Konzerne sich so sehr an diese alte Technologie klammern, erklärt sich durch eine Analyse der Firmenzahlen. Beispiel EnBW: Von 21.000 Mitarbeitern des Konzern arbeiten weniger als 9 Prozent bei der EnBW Kernkraft GmbH. Gleichzeitig werden auch nur 15 Prozent des Konzernumsatzes mit Stromerzeugung und -handel generiert. Bei 59 Prozent Anteil der Atomkraft am Erzeugungsportfolio tragen die Reaktoren folglich mit weniger als 10 Prozent zum Firmenumsatz bei. Damit ist die Erzeugung von Atomstrom, gemessen an den Umsatz- und Mitarbeiterzahlen, nur eine marginale Sparte in einem riesigen Konzern.
Gleichwohl trägt der Atomstrom zu rund zwei Drittel zum Konzerngewinn bei - und das ist der Grund, warum die Atomlobby sich gerade so richtig in Fahrt bringt. Wer mit nicht einmal 9 Prozent seiner Mitarbeiter fast 70 Prozent seines Gewinns einfährt, der wird um diese Abteilung kämpfen - das ist verständlich.
Solche Zahlen veröffentlicht EnBW zwar nicht offiziell, doch man kann sie errechnen: EnBW-Chef Hans-Peter Villis hat selbst vorgerechnet, dass die geplante Brennelementesteuer den Gewinn des gesamten EnBW-Konzerns um rund 40 Prozent reduzieren würde. Da die Bundesregierung aber nur 60 Prozent der Zusatzgewinne abschöpfen will, hieße das, dass die Atomkraft rund zwei Drittel des Konzerngewinns liefert. Das muss man sich vor Augen halten, wenn mal wieder über die Laufzeiten diskutiert wird.
Entsprechend kämpft die Atomwirtschaft nun mit Macht dafür, diese Gelddruckmaschine zu erhalten. RWE-Manager sprachen kürzlich sogar davon, die Brennelementesteuer sei eine "grundgesetzwidrige Enteignung", was auch wieder eine ziemlich absurde Weltsicht offenbart. Es sind die hilflosen Töne einer Branche, die noch nicht begreifen will, dass ihr Produkt von der Gesellschaft mehrheitlich nicht mehr gewünscht wird.
Damit ist wieder die Politik gefragt: Die Bundesregierung ist jetzt gut beraten, dem Lobbydruck der Atomstromer standzuhalten - und die Brennelementesteuer wie geplant zum nächsten Jahr einzuführen.
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