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Kommentar Antisemitismus in FrankreichNicht entschuldbar

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Der neue Antisemitismus ist nicht harmloser als der alte. Ihn zu bekämpfen, kann der Integration des Islam nur nützen.

Der neue Antisemitismus wird oft mit „Israelkritik“ umschrieben Foto: dpa

J edes rassistische Verbrechen stellt das optimistische Bild eines harmonischen Zusammenlebens infrage. Es ist unüberhörbar in den offiziellen Stellungnahmen in Frankreich nach einem mutmaßlich antisemitischen Anschlag oder Mord, wie peinlich es den politisch Verantwortlichen ist, solche möglichen Tatmotive einräumen zu müssen. Als ob der Antisemitismus bloß ein ärgerliches Gespenst aus der Geschichte wäre! Gerade einem Land wie Frankreich, das durch eine beflissene staatliche Kollaboration an der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg mitbeteiligt war, ist es tatsächlich nicht möglich, heute über ein antisemitisches Verbrechen zu reden, ohne gleichzeitig an die Geschichte zu denken.

Umso fahrlässiger klammert man dann gern den aktuellen Bezug zur Gegenwart aus. Ist der „neue Antisemitismus“ in den gemischten Wohnsiedlungen mit vorwiegend Familien aus muslimischen Ländern etwa entschuldbar, weil die anti­jüdischen Klischees dort so „traditionell“ sind wie früher und (zum Teil heute noch) die Ressentiments von Christen, die während Jahrhunderten die Juden für die Kreuzigung des Heilands verantwortlich machten? Der „neue Antisemitismus“ ist nicht besser oder harmloser als der alte aus der Zeit der Dreyfus-Affäre oder der Schoah.

Die Politiker, die Medien und die ganze Gesellschaft schauen desinteressiert oder betreten weg, wenn eindeutig pejorative Bezeichnungen oder „Witze“ in den Jargon der jungen Generation Eingang finden. Banal sind diese jedoch nicht. Das müsste man spätestens seit dem Prozess gegen die „Gang der Barbaren“ begreifen. Für die jungen Mitglieder dieser kriminellen Bande war es nicht nur ausgemachte Sache, dass Juden reich und darum ideale Opfer seien, sie fanden es geradezu legitim, aus solchen Motiven den jungen Ilan Halimi zu entführen und zu Tode zu quälen.

Auch wenn die mutmaßlichen Täter auch im Fall der Tötung von Mireille Knoll junge Muslime sind, hat das nichts mit einem vermeintlich schwelenden Religionskrieg zu tun, sondern mit einer sträflichen Untätigkeit angesichts politisch oder religiös verbrämten rassistischen Dummheiten.

Nicht zu zögerlich sein

Der gemeinsame Kampf gegen den speziell aggressiven Antisemitismus radikaler Islamisten hingegen kann der Integration des Islam in der Französischen Republik nur förderlich sein. Frankreich hat dafür eine besonders ausgefeilte Gesetzgebung, um Anstiftung zu Rassismus und Antisemitismus oder Hasspropaganda wie die Leugnung oder Rechtfertigung der Judenverfolgung zu ahnden. Dieses Arsenal wird aber nur ­zögerlich eingesetzt.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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8 Kommentare

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  • Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu solchen Greueltaten auch wieder auf deutschem Boden kommt. Und dann wird man wieder die israelische Siedlungspolitik dafür verantwortlich machen.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Nicky Arnstein:

      Wer man? Nenne Sie doch bitte, diejenigen, die Sie da vor Augen haben und deren Erklärungen Sie jetzt schon hören.

  • ich halte schon beim ersten satz inne

    "Jedes rassistische Verbrechen stellt das optimistische Bild eines harmonischen Zusammenlebens infrage."

    ach? nur jedes rassistische?

    ist das der neue exorzismus: durch markieren eines verbrechens als xy wird das gespenst namens verbrechen vertrieben?

    • @christine rölke-sommer:

      Was war an dem Satz so schwer zu verstehen? Dazu muss man weder Kriminologe noch Soziologe sein.

  • Ein guter Kommentar.

     

    Passt natürlich auch für Deutschland.

  • Ist es hier etwa anders?

     

    Wenn bei Leuten deren jüdischer Glauben bekannt ist, hier in Frankfurt auf die Fenster mit vollen Bierflaschen geworfen wird oder auf die Fenster der von jüdischen Familien "Juden raus" geschrieben wird und die Synagoge beschmiert wird, ist der Unterschied nur, daß noch niemand umgekommen ist.

     

    Und das war nur eine kleine Auswahl der Vorfälle von 2014, also weit vor dem Zuzug von Geflüchteten und die meiner Meinung nach maximal ein bestehendes Problem teilweise verstärken.

     

    //m.fr.de/frankfurt/antisemitismus-anschlag-auf-juedin-a-588664.amp.html

     

    Das ist jedes Jahr so und nicht nur hier.

     

    Und klar hat Frankreich da etwas stärkere Probleme als Deutschland. Aber wenn man mal wenigstens einen Moment ehrlich wäre, würde man eingestehen, man hat die gleichen Probleme wie Frankreich und man verhält sich genauso, nicht darüber reden und verharmlosen.

    • @Sven Günther:

      Frankreich ist schon sehr speziell. Wenn es dort noch ein paar Jahre so weiterläuft, bekommt Le Pen einen "Kosher-Stempel". http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/21799

       

      Und ja, ähnliche Tendenzen gibt es auch in anderen europäischen Ländern. Gottseidank noch nicht so ausgeprägt aber Verharmlosung ist fehl am Platz.

  • Gut, daß Sie diesen Kommentar nachgeschoben haben, Herr Balmer.

    Es war nötig, hier Roß und Reiter zu nennen.