Kommentar Antisemitismus an Schulen: Leider keine Ausnahme
Antisemitismus ist tief verwurzelt – und so gibt es trotz aufklärender Programme immer wieder Rückschläge, wie gerade erst an einer Berliner Schule.
A lle wissen es, weil sie es selbst erlebt haben, ob als Opfer, Täter oder Zuschauer: Schule kann ein schrecklicher Ort sein, ein Schauplatz der Demütigung, der Brutalität, der Ungerechtigkeit und der Gemeinheit. Ein neueres Wort dafür: Mobbing. Und es gibt wohlmeinende Programme dagegen. Aber was bringen sie?
Der jüngste Fall: Ein jüdischer Jugendlicher wird in einem eher bürgerlichen Berliner Wohnviertel über Monate von Altersgenossen malträtiert. Weil er Jude ist. Die Schule, die sich mit dem Titel „Schule ohne Rassismus“ schmückt, hat durchaus reagiert – auch mit einem Besuch der Großeltern des Opfers, die den Holocaust überlebt haben. Es hat alles nichts gebracht. Nun hat der Jugendliche die Schule verlassen.
Vieles spricht dafür, dass die jungen Täter nur das umgesetzt haben, was sie zu Hause so hören: dass Juden Mörder seien etwa und ähnlich gefährlichen Unsinn. Antisemitismus findet sich immer noch in manchen Familien, viele von ihnen sind muslimisch geprägt. Das zeigen Studien. Was kann man dagegen tun?
Einerseits sehr viel – andererseits ziemlich wenig. Den Antisemitismus sieht die Wissenschaft als ein „Phänomen der langen Dauer“, einen Vorurteilskomplex, der so tief in die abendländische Kultur eingewoben ist, dass ihm nur schwer beizukommen ist – und das gilt auch für einen Teil der nahöstlich-muslimischen Kultur. Es braucht deshalb wohl Jahrzehnte, bis es hierzulande weniger Vorurteile solcher Art gibt, und in der Schule fängt es an.
Jüdische Familien haben keine Zeit, so lange zu warten. Es ist nur logisch und allzu verständlich, dass sie ihre Kinder von einer Schule nehmen, in der diese antisemitisch gemobbt werden. Das deutsche Bildungssystem muss darauf reagieren und den Wahn der Judenfeindschaft intensiver thematisieren. Die Fortschritte werden nur langsam spürbar werden und sicher oft Rückschläge erleben, so wie in Friedenau. Und jede Generation wird fast von vorn beginnen müssen.
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